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4.4 Lehrervorstellungen und Unterrichtshandeln

Prämisse einer jeden Auseinandersetzung mit Vorstellungen von Lehrerinnen und Lehrern ist die Annahme, dass diese als „wahrnehmungsleitende Kategoriensysteme“ fungieren, die zur „Bewältigung der Praxis“ unerlässlich sind (Klee 2008, S. 27). Nur wenn man von einer faktischen Relevanz von Vorstellungen ausgeht, ist es sinnvoll und notwendig, diese zu erforschen.

Seifried (2013, S. 7) postuliert eine „Ursache-Wirkungskette“ für den Zusammenhang zwischen Lehrervorstellungen und Unterricht: „Die Sichtweisen von Lehrpersonen bestimmen die Qualität des unterrichtlichen Handelns mit, und hochwertiger Unterricht (z. B. gut strukturierter, kognitiv herausfordernder Unterricht) fördert die Lernprozesse und damit letztlich den Lernerfolg.“ Dieser Wirkungszusammenhang ist durch die Komplexität von Lehr-Lern-Prozessen (beispielsweise die lange zeitliche Dauer, die zwischen Lernen und Lernerfolg liegen kann) nicht unmittelbar überprüfbar (vgl. ebd., S. 8). An dieser Stelle muss betont werden, dass Lehrervorstellungen nicht immer einen direkten Handlungsbezug aufweisen (vgl. u. a. Leuchter et al. 2006; Lederman 1999; Simmons et al. 1999). Gleichwohl wird Lehrervorstellungen ein zentraler Einfluss auf den „Bewertungsmaßstab“ und „die Steuerung des beruflichen Handelns“ (Oser/Blömeke 2012, S. 416) im professionellen Lehrerhandeln zugesprochen.

Fives und Buehl (2012, S. 478) identifizieren auf Basis der von ihnen in umfangreichem Maße gesichteten Literatur zu teachers' beliefs drei zentrale Funktionen von Vorstellungen bzw. drei Realisierungsformen der Beziehung zwischen den Erfahrungen von Lehrpersonen und der Unterrichtspraxis, zwischen die beliefs gewissermaßen als Übersetzungsmoment zwischengeschaltet sind. Sie beschreiben die Funktionen von Lehrervorstellungen als (1) Filter („filter“), (2) Rahmen („frames“) und (3) Orientierungshilfe („guides“) für das Handeln von Lehrerinnen und Lehrern im Unterricht (ebd.):

(1) In ihrer Funktion als Filter können Vorstellungen Einfluss auf Beurteilung und Interpretation nehmen, beispielsweise dazu, welche Inhalte Lehrpersonen für unterrichtsrelvant halten. Als potenzielle Filter werden epistemologische Überzeugungen, Vorstellungen über Lernende oder die Rolle der Lehrperson identifiziert.

(2) Als Rahmen wirken beliefs, indem sie die Sichtweise und Konzeptualisierung von Problemen oder Aufgaben beeinflussen, beispielsweise Vorstellungen zu Lehr-Lern-Methoden oder Ansätzen als Rahmen für Unterrichtsplanung und -gestaltung.

(3) Als Orientierungshilfe können beliefs in Situationen dienen, die unmittelbarer Handlungen oder Entscheidungen bedürfen, wie sie in Schule und Unterricht vielfach von Lehrpersonen gefordert sind. Einfluss können hier beispielsweise Vorstellungen zur Selbstwirksamkeitsüberzeugung der Lehrpersonen nehmen.

Vernachlässigt wird in der Abbildung und den Ausführungen von Fives und Buehl die mögliche Barierrefunktion von Vorstellungen. Beliefs wirken nicht nur zwischen den Erfahrungen und dem Lehrerhandeln im Unterricht in den Funktionen Filter, Rahmen und Orientierungshilfe, sondern können auch zu Barrieren werden. Als solche können sie beispielsweise Reformen im Schulwesen verhindern.

In der Forschung zu Lehrervorstellungen wird u. a. von Leuchter et al. (2006) zwischen verhaltensfernen (allgemeineren) und verhaltensnahen (spezifischen) Kognitionen unterschieden. Zu den allgemeineren Kognitionen konstatieren sie: „Diese sind zwar auf einer allgemeinen Ebene absichtsund handlungsleitend, entfalten aber in konkreten Situationen nicht zwingend Wirkung.“ (ebd., S. 565) Jedoch stellen vor allem die nicht immer unmittelbar in Erscheinung tretenden Lehrerkognitionen einen Schlüssel zum Denken von Lehrpersonen dar, der sich nicht durch ausschließliche Unterrichtsbeobachtung identifizieren lässt. Ihre Erforschung ist besonders relevant, gerade weil es sich bei diesen fachdidaktischen Vorstellungen um grundsätzliche Ansichten der Lehrerinnen und Lehrern zu ihrem Unterricht handelt. Diesen Vorstellungen wird Einfluss auf die Planung und Gestaltung von Unterrichtsprozessen zugesprochen, auch wenn die empirische Forschungslage vielfach noch als unbefriedigend bezeichnet wird (vgl. u. a. Baumert/ Kunter 2006, S. 499).

Fives und Buehl (2012, S. 481) stellen in ihrem Literaturreview dar, dass die Kongruenz von beliefs und Unterrichtshandlungen bisher nicht empirisch belegt ist. Diese ist nach Fives und Buehl für eine Sichtweise, die Vorstellungen als „Wegbereiter“ von Handlungen ansieht, auch nicht die zentrale Frage. Vielmehr komme es auf den Grad zwischen Inkongruenz bzw. Kongruenz von Lehrervorstellungen und -handlungen sowie auf die Umstände dieses Zusammenhangs an.

Mehrheitlich wird in den Lehrervorstellungsstudien davon ausgegangen, dass Vorstellungen Einfluss auf das Handeln – in diesem Fall von Lehrpersonen – nehmen können (vgl. u. a. Leder et al. 2002; Leuchter 2009). An dieser Stelle gilt es, festzuhalten, dass dieser Einfluss von Lehrervorstellungen auf Unterricht und Unterrichtete vielfach als indirekt zu beschreiben ist, ohne die Bedeutung von Lehrervorstellungen und die Notwendigkeit, Einsichten über diese zu erlangen, damit zu schmälern. Denn bei der Beschreibung und empirischen Erforschung der professionellen Kompetenz von Lehrpersonen sind nicht nur jene Kognitionen zu berücksichtigen, für die Kausalität zu direkten Unterrichtshandlungen anzunehmen ist. Denn das Bild des professionellen Wissens und Handelns von Lehrpersonen ist als vielschichtiger anzusehen (vgl. Bromme 1997, S. 199). Zwischen den verschiedenen kognitionspsychologischen Konstrukten, wie Vorstellungen und Wissen, bestehen Interdependenzen, die es noch zu erforschen gilt (vgl. Blömeke 2014, S. 9).

 
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