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Wirtschaftsunterricht aus der Sicht von Lehrpersonen
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4.2 Lehrervorstellungen als Dimension professioneller KompetenzLehrervorstellungen werden im gegenwärtigen Diskurs als eine Dimension der Lehrerkompetenz und als solche als integraler Bestandteil von Lehrerprofessionalität diskutiert (vgl. u. a. Baumert/Kunter 2006; Weschenfelder 2014). Die verschiedenen Kompetenzbereiche der professionellen Lehrerkompetenz gelten als eng verbunden. Die Kompetenzbereiche „Wissen“ und „Motivation“ haben Einfluss darauf, ob Lehrpersonen ihre Vorstellungen auch in entsprechende Lehr-LernArrangements umsetzen können (vgl. Kleickmann et al. 2010, S. 215). Umgekehrt nehmen die Vorstellungen ebenfalls Einfluss auf das Wissen und die Motivation von Lehrpersonen. Die professionelle Kompetenz von Lehrpersonen gilt als zentrale Voraussetzung für das Gelingen von Unterricht und den Lernerfolg von Schülerinnen und Schülern (vgl. Richter et al. 2014a, S. 181). Es lässt sich beobachten, dass das Interesse an der professionellen Kompetenz von Lehrpersonen sowohl in der (fach-)didaktischen, psychologischen und pädagogischen Forschung als auch in der Öffentlichkeit stark zugenommen hat (vgl. König 2012b, S. 7). Dies kann im Zusammenhang mit dem Wandel von einer eher prozessorientierten Betrachtung von Unterricht hin zu einer eher an den Expertinnen und Experten für Unterricht, den Lehrpersonen, orientierten Sichtweise gesehen werden (vgl. Schlichter 2012, S. 1). Dies konstatieren auch Brunner et al. (2006, S. 76) und bewerten diese Entwicklung als positiv: „Lehrpersonen als Experten für Unterrichtsgestaltung rücken zu Recht wieder in den Mittelpunkt der Unterrichtsforschung“. Gegenwärtig werden Lehrervorstellungen als konstitutives Element professioneller Lehrerkompetenz verstärkt diskutiert. Zurückzuführen ist das auch auf Studien und Programme wie BiQua [1], COACTIV, TIMSS oder TALIS, in deren Rahmen Lehrervorstellungen als Element von Lehrerprofessionalität analysiert werden (vgl. Schlichter 2012, S. 18). Im Modell professioneller Lehrerkompetenz des Forschungsprogramms COACTIV werden Lehrervorstellungen („beliefs“) neben Wissen („knowledge“), Werten („values“), Zielen („goals“), Motivation und Selbstregulierung („self-regulation“) als zentrale Elemente einer professionellen Lehrerkompetenz angesehen (vgl. Baumert/Kunter 2013, S. 28). Im Rahmen von COACTIV wird das Modell professioneller Handlungskompetenz von Baumert und Kunter (2006, S. 481) zugrunde gelegt. Baumert und Kunter modellierten in Anlehnung an die NBPTS [2] dieses Modell, welches in der Lehrerbildungsforschung mittlerweile kanonischen Status hat (vgl. Seifried 2013, S. 7). Sie definieren in Anknüpfung an Bromme (vgl. u. a. 1997), Shulman (vgl. u. a. 1987) und Weinert (vgl. u. a. 2001) die professionelle Handlungskompetenz von Lehrpersonen als das „Zusammenspiel“ verschiedener Kompetenzfacetten und benennen „[...] professionelle Werte, Überzeugungen, subjektive Theorien, normative Präferenzen und Ziele“ sowie „motivationale Orientierungen“ als Elemente der Handlungskompetenz (ebd.). Hierbei unterscheiden sie „Wissen und Können“ von Lehrpersonen und subjektive kognitive Konstruktionen wie „Überzeugungen“ und „Werthaltungen“ voneinander, betonen aber gleichzeitig das Zusammenwirken beider Bereiche im Rahmen der Handlungskompetenz von Lehrerinnen und Lehrern (vgl. Baumert/Kunter 2006, S. 496). In diesem Modell werden auch verschiedene Facetten von „Werthaltungen und Überzeugungen“ differenziert. Baumert und Kunter unterscheiden „Wertbindungen“, „epistemologische Überzeugungen“, „subjektive Theorien über das Lehren und Lernen“ sowie „Zielsysteme für Curriculum und Unterricht“ (ebd., S. 497). Im Programm COACTIV teilen sie diese zentralen Bestandteile professioneller Lehrerkompetenz in die Kategorien „Wissen“, „Vorstellungen“, „Werte“, „Ziele“, „Motivation und Selbstregulierung“ ein (Baumert/Kunter 2013, S. 28). Vorstellungen sind diesem Modell zufolge Teil eines komplexen Zusammenspiels von professionellem Wissen, selbstregulativen Fähigkeiten und motivationalen Orientierungen, aus dem sich das professionelle Handeln von Lehrpersonen konstruiert. Auch die Selbstreflexion der eigenen Vorstellungen ist elementarer Bestandteil der Professionalität von Lehrerinnen und Lehrern. Professionelle Lehrpersonen zeichnen sich demnach durch einen reflektierten Umgang mit den eigenen Vorstellungen aus. Nach Kunter und Pohlmann (2009) reflektieren sie, inwieweit ihr eigenes Handeln durch Vorstellungen geleitet wird und überprüfen diesen Einfluss auf seine Adäquatheit (vgl. ebd., S. 267f.). Dahinter steht die Zielvorstellung der Lehrperson als „reflective practioner“. Reflexionsfähigkeit ist somit auch als eine zentrale Facette professioneller Handlungskompetenz von Lehrerinnen und Lehrern zu verstehen (vgl. Combe/Kolbe 2008, S. 859). Das Modell von Baumert und Kunter (2006) lässt sich nach Weschenfelder (2014) als ein „generisches Strukturmodell“ charakterisieren, welches kognitionspsychologische Erkenntnisse der Expertiseforschung mit kompetenztheoretischen Annahmen verbinde und für Lehrpersonen aller Fächer gültig sei, deshalb aber auch von den jeweiligen Fachdidaktiken zu adaptieren und weiterzuentwickeln ist (vgl. ebd., S. 10). Ausgehend von dieser Überlegung entwickelten Weißeno et al. (2013) im Programm „Professionelle Kompetenz von Politiklehrer/-innen“ (PKP) ein Modell zur professionellen Handlungskompetenz von Politiklehrerinnen und -lehrern. In diesem werden in Anlehnung an das Modell Baumerts und Kunters (2006) „pofessionelles Wissen“, „beliefs“ und „motivationale Orientierungen“ als zentrale Kompetenzfacetten unterschieden. Unter „beliefs“ werden in diesem Modell „epistemologische Überzeugungen“, „Überzeugungen zum Lehren und Lernen“ und „schulund professionstheoretische Überzeugungen“ verstanden (Weißeno et al. 2013, S. 189). Der Kompetenzbegriff wird in der gegenwärtigen Bildungsdebatte häufig verwendet. Oser und Blömeke (2012, S. 415) weisen darauf hin, dass der Begriff „[...] durch die akademischen Disziplinen irrlichtert wie nur wenige andere Begriffe“. Ähnliches gilt auch für die Verwendung des Professionalisierungsbegriffs im Rahmen der Lehrerforschung (vgl. u. a. Terhart 2011, S. 202). Die im deutschen Sprachraum zentrale Definition von „Kompetenz“ stammt von Weinert (2001, S. 27f.), der Kompetenzen definiert als […] die bei Individuen verfügbaren oder von ihnen erlernbaren kognitiven Fähigkeiten und Fertigkeiten, bestimmte Probleme lösen zu können, sowie die damit verbundenen motivationalen, volitionalen und sozialen Bereitschaften und Fähigkeiten, die Problemlösungen in variablen Situationen erfolgreich und verantwortungsvoll nutzen zu können. Kompetenzen umfassen somit mehr als nur inhaltlichwissensorientierte Lernziele und sie zielen auf Handlungsfähigkeit von Individuen auf unterschiedlichen kognitiven Ebenen sowie in flexiblen Situationen ab. „Kompetenz wird demnach als mehrdimensionale Eigenschaft angesehen, die anforderungsbezogen ausgeprägt ist und Handeln bzw. Performanz unterliegt“ (Oser/Blömeke 2012, S. 415). In Bezug auf das Konzept des lebenslangen Lernens und die Professionalisierung von Lehrerinnen und Lehrern sind Kompetenzen heutzutage nicht mehr für die Lernprozesse von Schülerinnen und Schülern relevant, sondern auch in der Ausund Weiterbildung von Lehrpersonen von Bedeutung. Die KMK definiert deshalb 2004 vier zentrale Kompetenzbereiche für die Lehrerbildung: Unterrichten, Erziehen, Beurteilen und Innovieren (KMK 2004, S. 7ff.). Auch im Hinblick auf die Schulpraxis ist Lehrerkompetenz ein essenzielles Konzept, weil es Wissen, Fähigkeiten, Fertigkeiten, Vorstellungen und noch vieles mehr umfasst, was der Lehrperson das Unterrichten ermöglicht. Dies betont auch Dubs (2009, S. 20): „Immer wieder wird behauptet, das Unterrichten sei eine Kunst. In dieser extremen Form ist diese Aussage falsch. Erfolgreiches Unterrichten bedingt zunächst Kompetenzen.“ Die professionelle Kompetenz von Lehrpersonen konstruiert sich – wie in dem Modell von Baumert und Kunter und dem von Weißeno et al. deutlich wird – aus Professionswissen auf der einen und subjektiven Vorstellungen und anderen motivationalen Kognitionen auf der anderen Seite (vgl. auch König 2012b, S. 7). Lehrerkompetenz wird als vielschichtiges, aus verschiedenen Komponenten bestehendes Konglomerat beschrieben, wobei Lehrervorstellungen zu den kognitiven Konstruktionen gerechnet werden, aus denen sich im Zusammenspiel mit anderen Facetten Lehrerkompetenz ergibt. Diese wird vor allem in jüngeren Forschungsansätzen als Voraussetzung für gelingende LehrLern-Prozesse und den Lernerfolg von Lernenden beschrieben (vgl. Voss et al. 2014, S. 184): Reusser et al. (2010, S. 478) sehen „berufsbezogene Überzeugungen (beliefs)“ als wesentlichen Bestandteil der professionellen Kompetenz von Lehrpersonen. Sie verstehen unter jenen die „[...] Facetten der Handlungskompetenz von Lehrpersonen, welche über das deklarative und prozedurale pädagogisch-psychologische und disziplinär-fachliche Wissen hinausgehen“. Darüber hinaus zählen beispielsweise auch Dubberke et al. (2008, S. 193f.) teachers' beliefs zu den zentralen Bestandteilen der Lehrerkompetenz: „Auch Überzeugungen werden als bedeutsamer Bestandteil der Lehrerkompetenz angesehen, da ihnen eine Schlüsselfunktion beim Verständnis des Unterrichtsgeschehens zugesprochen wird.“ Insbesondere wenn man sich die Strukturierungsund Ordnungsfunktion von Vorstellungen vor Augen führt, wird deutlich, warum Vorstellungen ein zentrales Element von Lehrerkompetenz sind. Entscheidungssituationen im Unterricht sind u. a. nach Hartinger et al. (2006, S. 113) als „ill-structured-problems zu charakterisieren. Vorstellungen werden in diesem Zusammenhang als kognitive und erfahrungsbasierte Entscheidungsund Strukturierungshilfe angesehen, da didaktische und pädagogische Entscheidungen vielfach unter Unsicherheit und gleichzeitig unter hohem zeitlichen Druck getroffen werden müssen (vgl. Dann 2008, S. 182). Vorstellungen sind deshalb in solchen Situationen besonders einflussreich (ebd.). Gerade weil Lehrerhandeln nicht nur auf professionelles Wissen angewiesen ist, kommt den Vorstellungen von Lehrpersonen in ihrem professionellen Handeln eine besondere Rolle zu, wie auch König (2012b, S. 9) konstatiert: „For a profession such as teaching, which is characterised by its complexity and uncertainty, it is highly plausible that teachers behavior is not only affected by their knowledge.“ Vor allem in solchen komplexen und von Unsicherheit gekennzeichneten Situationen kann es aber auch dazu kommen, dass eben nicht nach den eigenen Vorstellungen gehandelt wird, sondern andere, beispielsweise pragmatischere Entscheidungen, getroffen werden müssen (vgl. Kleickmann et al. 2010, S. 215). Da Unterrichtssituationen als komplex zu beschreiben sind, greifen Lehrpersonen auf ihre Vorstellungen zurück, um einen Rahmen zu haben, an dem sie sich bei ihren Entscheidungen orientieren können (vgl. Allenspach 2013, S. 218). Lehrervorstellungen werden nicht nur als ein integraler Bestandteil von Lehrerkompetenz, sondern auch als für die Lehrerprofessionalität essenziell angesehen, wobei beide Bereiche als in einem Wechselverhältnis stehend zu betrachten sind. Professionalisierung kann nach Terhart (2011, S. 203) sowohl als ein kollektiver Prozess der Gesamtheit aller Vertreterinnen und Vertreter eines Berufes als auch auf der individuellen Ebene im Sinne des „becoming professional“ als die Entwicklung vom Berufsanfänger zum erfahrenen Experten verstanden werden. Da geteilte Vorstellungen (shared beliefs) sowohl kollektiv Gemeinschaft stiften als auch für das Individuum identitätsbildend wirken, wird die Bedeutung von Vorstellungen für Professionalisierungsprozesse deutlich. Weitere Interdependenzen bestehen zwischen der Lehrerprofessionalität und der Einbeziehung von Schülervorstellungen in Unterrichtsentscheidungen (vgl. Jelemenská 2012, S. 230) sowie der Diagnosekompetenz von Lehrpersonen (vgl. Kirchner/Loerwald 2013). Es ist davon auszugehen, dass professionell agierende Lehrpersonen die Lernausgangslage, zu der die Vorstellungen der Lernenden zu rechnen sind, berücksichtigen und didaktische Wege kennen, diese sichtbar zu machen. Bromme (1997, S. 198) erläutert am Beispiel der diagnostischen Kompetenz von Lehrpersonen das Zusammenspiel von Vorstellungen und verschiedenen Wissenskomponenten wie dem fachlichen und dem fachspezifisch-pädagogischen Wissen (vgl. ebd., S. 200). Er sieht Lehrervorstellungen als Bestandteil des „professionellen Wissens“ von Lehrpersonen an. Auch an dieser Stelle wird erneut deutlich, dass Wissen und Vorstellungen zwar auf einer theoretischen Ebene getrennt voneinander definiert werden können, in der Praxis jedoch vielfach eng miteinander verwoben sind (vgl. Blömeke 2011, S. 395; vgl. Kapitel 3.6). In der jüngeren pädagogischen und didaktischen Literatur finden sich Hinweise darauf, dass mit dem Forschungsfeld „Lehrerkompetenz“ die Hoffnung verbunden wird, zentrale Faktoren zur Veränderung von Lehr-Lern-Qualität zu identifizieren (vgl. Kunter/Pohlmann 2009, S.281). Denn Lehrerforschung beschränkt sich zumeist nicht nur auf die Beforschung von Lehrpersonen, sondern wird im Kontext einer umfassenden Lehr-Lern-Forschung gedacht. Im Folgenden wird deshalb die lehr-lern-theoretische Bedeutung von Lehrervorstellungen herausgearbeitet. |
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