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Der Konsument
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5. Der hedonische KonsumprozessAufbauend auf diesen Grundgedanken von Kahneman et al. wird der in der folgenden Abb. 5.1 dargestellte, dynamisch temporäre Zusammenhang unterschiedlicher mentaler Nutzenbewertungsstadien vorgeschlagen, um insbesondere weit reichende hedonische Kaufentscheidungen und Konsumprozesse ganzheitlich und realitätsnah abbilden und so differenzierter erklären zu können. In der hier vorgeschlagenen zirkulären Konzeptionalisierung werden fünf Phasen unterschieden: 1) die Kaufentscheidung, 2) die Re-Evaluation, 3) das Konsumerlebnis, 4) die Erinnerung und 5) die Erwartung. Ausgehend von der ex-ante bestehenden Erwartung des Konsumenten stellt die Kaufentscheidung konform mit bestehenden Modellen (Court et al. 2009; Rassuli und Harrell 1990) den Ausgangpunkt des hedonischen Konsumprozesses dar. Die Nachkaufphase konstituiert die Re-Evaluation der Entscheidung und das hedonische Konsumerlebnis. Die Erinnerung an das Erlebnis sowie die auf dieser Grundlage adaptierte Erwartung bestimmen die Wiederholwahrscheinlichkeit des hedonisch geprägten Kauf- und Konsumprozesses. Die einzelnen Nutzenstadien folgen im Zeitablauf aufeinander. Jede dieser Phasen ist durch einen mentalen Bewertungsprozess gekennzeichnet, der sich in distinkten Nutzenarten manifestiert. Die genannten mentalen Nutzenbewertungsphasen sind sowohl hinsichtlich ihrer Konzeption als auch hinsichtlich ihrer Messung klar trennbar (für Details vgl. Franke 2013) und sollen im Folgenden kurz abgegrenzt werden: (1) Kaufentscheidung/Entscheidungsnutzen Konsumenten treffen im Alltag regelmäßig Entscheidungen darüber, welche Produkte sie kaufen und konsumieren möchten. Um aus dem verfügbaren Alternativen-Set ein konkretes Produkt auswählen zu können, ist es erforderlich, dass die Konsumenten die zur Wahl stehenden Alternativen beurteilen. Entscheidungen gehen insofern stets mit mehr oder weniger komplexen Bewertungsprozessen seitens der Konsumenten einher. Das Ergebnis der Bewertung im Moment der Entscheidung kann über den Abb. 5.1 Konzeptioneller Rahmen für ein mögliches hedonisches Konsumprozessmodell. (Quelle: Eigene Darstellung) Entscheidungsnutzen abgebildet werden (Kahneman 1994; Kahneman und Snell 1990; Kahneman et al. 1997). Dieses Konstrukt subsummiert das Ausmaß des Wollens (Wanting) und spiegelt die Präferenz des Konsumenten für die jeweilige Alternative wider (Berridge 1999). Der Entscheidungsnutzen als wesentlicher Indikator für die Bedeutung, die einer Alternative im Rahmen des Bewertungsprozesses in der Entscheidungsphase zugewiesen wird, hilft dem Konsumenten folglich, eine für ihn möglichst vorteilhafte Wahlentscheidung treffen zu können (Kahneman 1994; Kahneman und Snell 1990; Kahneman et al. 1997). Antizipierte oder tatsächlich erlebte Emotionen (z. B. das mit einer Entscheidungsalternative attribuierte Gefühl der Belohnung oder negative Gefühle wie Angst) können ein wesentlicher Treiber der im Moment der Entscheidung stattfindenden Bewertungsprozesse sein und den Entscheidungsausgang maßgeblich beeinflussen. Nähere Ausführungen zur Wirkungsweise von Emotionen im Rahmen der Entscheidungsfindung finden sich bei Franke (2013). (2) Re-Evaluation/Re-Evaluationsnutzen Konsumenten antizipieren bereits im Moment der Entscheidung möglicherweise resultierende Emotionen. Auf diese Weise versuchen die Konsumenten bereits mit der Kaufentscheidung, ihren hedonischen Nutzen in späteren Phasen des Konsumprozesses zu optimieren. Falsch antizipierte ex-post auftretende Emotionen resultieren entsprechend in suboptimalen Entscheidungen (Gilbert et al. 2004). In der Realität können derartige systematische Fehleinschätzungen regelmäßig beobachtet werden (Mellers und McGraw 2001; Sevdalis und Harvey 2007). Dies gilt auch im Marketingkontext (Syam et al. 2007). Entsprechend relevant ist es, neben der emotionsbasierten Bewertung im Moment der Entscheidung auch explizit die Nachentscheidungsphase und den Re-Evaluationsnutzen abzubilden, den Konsumenten der von ihnen getroffenen (Kauf-)Entscheidung zuweisen. Grundlage der Re-Evaluation ist ein Prozess des kontrafaktischen Denkens. Dabei wird die gewählte Alternative mit den entgangenen, nicht gewählten Alternativen im Sinne eines „Was hätte sein können…“-Denkvorgangs verglichen (Byrne 2002; Inman et al. 1997; Kahneman und Miller 1986; Kahneman und Tversky 1982; Larsen et al. 2004; Mellers et al. 1997; Taylor 1997). Zu den Kernemotionen, die diese Bewertungsphase kennzeichnen, gehört neben positiven kontrafaktischen Emotionen wie z. B. Trost (Medvec et al. 2002; Roese 1997, S. 144) insbesondere ein Gefühl des Bedauerns (Landman 1987; Markman et al. 1993) (vgl. Franke 2013 für Details). (3) Erlebnis/erlebter Nutzen Diese Phase des Konsumprozesses beschreibt das aus der vorab getroffenen Entscheidung resultierende Konsumerlebnis, welches aus der Interaktion des Konsumenten mit dem gewählten Produkt bzw. während des Konsumierens und der Nutzung des Produktes entsteht (Hoch 2002; Hoch und Ha 1986). Konsumerlebnisse sind multidimensional und umfassen im Kontext des hedonischen Konsums insbesondere Gefühle, Fantasien und Spaß sowie (multi-) sensorische und symbolische Aspekte des Konsums (Havlena und Holbrook 1986; Hirschman und Holbrook 1982; Holbrook und Hirschman 1982). Entsprechend werden die mentalen Bewertungsprozesse in dieser Phase durch die hedonische Qualität eines Konsumerlebnisses determiniert (Kahneman 1994; Kahneman und Snell 1990; Kahneman und Thaler 2006; Varey und Kahneman 1992). Der erlebte Nutzen als Ergebnis des Bewertungsprozesses spiegelt demnach das Liking bzw. den subjektiven, hedonischen Wert des spezifischen Konsumerlebnisses für den Konsumenten wider (Berridge 1999, S. 527). In dieser Phase des Konsumprozesses können vielfältige Konsumemotionen (u. a. Erregung, Langeweile, Überraschung, Vergnügen), insbesondere jedoch Un-/Zufriedenheit eine signifikante Rolle bei der Bewertung des hedonischen Produktes spielen. Die Emotion der Zufriedenheit kann schließlich als aggregierter Indikator für eine abschließende, positive Gesamtbewertung des Konsumerlebnisses interpretiert werden. Detaillierte Informationen zur Wirkung von Emotionen auf die Bewertung während des Konsumerlebnisses finden sich bei Franke (2013). (4) Erinnerung/erinnerter Nutzen Das hedonische Konsumerlebnis und die einhergehenden Bewertungsprozesse stellen entgegen der Annahme diverser gängiger Modelle des Konsumentenverhaltens (vgl. Franke 2013 für eine Übersicht) nicht das Ende des Konsumprozesses dar. Vielmehr kann das Konsumerlebnis auch noch über den Moment des Konsumierens hinaus eine wesentliche nutzenstiftende Quelle für den Konsumenten sein (Hoch 2002, S. 451). Erinnerungen an vergangene Konsumerlebnisse können von Konsumenten sogar als eine Art Vermögenswert gesehen werden, den es gezielt zu schützen und zu erhalten gilt (Strategic Memory Protection – Zauberman et al. 2009). Erinnerungen an Konsumerlebnisse stiften demnach einen eigenständigen Nutzen für den Konsumenten. Somit ist auch die Phase der Erinnerung durch einen distinkten mentalen Bewertungsprozess gekennzeichnet. Werden Nutzenurteile nach dem erlebten Konsum erhoben, so wird die Gesamtheit der erlebten Eindrücke nachträglich bewertet (Berridge 1999; Kahneman et al. 1997). Der erinnerte oder retrospektive Nutzen (Kahneman 1994, S. 21) ist somit das Ergebnis der retrospektiven, globalen Evaluation einer vergangenen Episode (Kahneman 1999, S. 4; Schreiber und Kahneman 2000, S. 27) und repräsentiert den Wert eines Erlebnisses in der Erinnerung des Konsumenten (Berridge 1999). Während des Konsums erlebte Emotionen unterliegen dabei signifikanten Vergessensbzw. Verzerrungseffekten, wodurch die nachträgliche Bewertung eines hedonischen Produktes (erneut) verändert werden kann (vgl. Franke 2013 für Details). (5) Erwartung/erwarteter Nutzen Die letzte noch zu spezifizierende Phase ist die Erwartung. Dieser Evaluationsphase kommt eine besondere Bedeutung zu. Die Erwartung des Konsumenten beschreibt die Vermutung des Konsumenten hinsichtlich des erlebten Nutzens eines zukünftigen Erlebnisses und spiegelt sich im erwarteten (hedonischen) Nutzen wieder (Berridge 1999; Kahneman und Snell 1992; Kahneman et al. 1997). Die Vorhersage des zukünftigen erlebten Nutzens ist ein wesentlicher Bestandteil im hedonischen Portfolio des Konsumenten (Tversky und Griffin 2000, S. 721). So bemühen sich die Konsumenten ex-ante zwei Arten von Erwartungen zu formen: 1) Eine Erwartung hinsichtlich ihrer emotionalen Reaktion in der Erlebnissituation (Phillips und Baumgartner 2002) sowie 2) eine funktional geprägte Erwartung hinsichtlich der Produktperformance (Oliver 2010). Daher sind die Erwartung und der erwartete hedonische Nutzen wesentliche Referenzpunkte für die Bewertung des Produktes in nachfolgenden Phasen des Konsumprozesses, z. B. bei der Beurteilung von Entscheidungsalternativen und dem tatsächlichen Konsumerlebnis (vgl. Franke 2013 für Details). Darüber hinaus kommt der Phase der Erwartung eine Funktion als Linking Pin im hedonischen Konsumprozess zu. Die initiale Erwartung des Konsumenten geht als initialer exante geformter Vergleichsstandard in die Bewertung von Kauf und Konsum ein. Wird diese initiale Erwartung bestätigt, werden Kauf und Konsum zukünftig wiederholt (vgl. Franke 2013 für Details). |
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