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3. Emotionen als Basis des hedonischen Bewertungsprozesses

Die emotionale Reaktion stellt die erste unmittelbare Reaktion des Konsumenten auf ein Produkt dar und indiziert, ob dieses als gut/schlecht, vergnüglich/nicht vergnüglich etc. wahrgenommen wird (Frijda 1986; 1999; Slovic et al. 2002, S. 401). Auf diese Weise erfährt jeder Stimulus eine distinkte positive oder negative Bewertung (Bargh 1997; Zajonc 1997). Diese Beurteilung erfolgt kontinuierlich, schnell, automatisch und nicht unbedingt bewusst. Dennoch leitet sie alle nachfolgenden (Informationsverarbeitungs- und Evaluations-)Prozesse sowie das Verhalten der Konsumenten (Bargh 1997; Frijda 1986; 1999; Lazarus 1991; Zajonc 1997). Entsprechend ermöglicht dieser Mechanismus den Konsumenten komplexe Situationen bzw. Stimuli ohne Zeitverzug zu evaluieren (Frijda 1999, S. 204; Slovic et al. 2002, S. 398).

Emotionale Reaktionen sind damit als Urphänomene zu deuten, die dazu beitragen, in der jeweiligen Situation – in physiologischer und psychologischer Hinsicht – angemessenes Handeln zu aktivieren sowie kontraproduktives Verhalten zu inhibieren. Verlässt sich der Konsument statt auf eine umständliche kognitive Evaluation auf Emotionen als Grundlage der Beurteilung, erlaubt ihm dies ein schnelleres, leichteres und effizienteres Zurechtfinden in einem unübersichtlichen und unsicheren Marktumfeld (Frijda 1999, S. 204; Scherer 1982b, S. 556 f.; Slovic et al. 2002, S. 398). Emotionen stellen demnach eine bedeutsame Schnittstelle zwischen dem Konsumenten und sich laufend verändernden Umweltsituationen und – ereignissen dar (S-O-R-Prozess) (Scherer 1982b, S. 556).

Alltägliche Handlungen und hedonische Konsumerlebnisse werden jedoch i. d. R. nicht ausschließlich von einer singulären Emotion, sondern von vielfältigen, teilweise gemischten Emotionen begleitet (Edell und Burke 1987; Larsen et al. 2001; McGraw und Lau-Gesk 2008). Dabei können positive (z. B. Freude) und negative (z. B. Angst) Gefühle zeitgleich auftreten (Larsen et al. 2001, S. 684). Diese multiplen Emotionen unterschiedlicher Valenz integrieren die Konsumenten im Rahmen eines mentalen Prozesses schließlich zu einer ganzheitlichen emotionalen Reaktion, die die Grundlage der Bewertung darstellen kann (Olsen und Pracejus 2004, S. 374).

Folgt man dieser Idee, gilt es, das klassische in der Konsumforschung in Zusammenhang mit Bewertungsprozessen unterstellte rationalistische Nutzenverständnis (von Neumann und Morgenstern 1947) um die Wirkung von Emotionen als Treiber der Bewertung zu erweitern. [1] Gerade im Kontext hedonisch geprägter Entscheidungssituationen und Produktkategorien ist weniger der kognitiv determinierte, rational errechnete Nutzen, sondern vielmehr die emotionale Reaktion des Konsumenten auf das Produkt als zentrale und unmittelbare Erklärungsgröße der Evaluation zu verstehen (Morris 1999, S. 178). Hedonisch maximales Handeln kann aus dieser Sicht demnach in entsprechenden, von hedonischen Aspekten getriebenen Kauf- und Konsumsituationen mit nutzenmaximalem Handeln gleich gesetzt werden (Loewenstein 2000, S. 426). Slovic et al. (2002, S. 420) postulieren sogar: „Feelings form a neural and psychological substrate of utility“.

Dieser Ansatz deckt sich mit dem Nutzenverständnis des Philosophen Jeremy Bentham (1748–1832). Nutzen errechnet sich nach Bentham aus der Nettosumme positiver und negativer Emotionen. Diese gemischten Emotionen bestimmen als „souvereign masters“ das Handeln der Menschen (Bentham 1789/1968). So resultiert der während eines Erlebnisses empfundene Genuss in positivem Nutzen, Schmerz hingegen in negativem Nutzen (Read 2007, S. 46). Menschen berechnen den gesamten hedonischen Nutzen als Summe der mit einem Erlebnis einhergehenden positiven und negativen Emotionen (hedonic calculation) (Konow und Earley 2008, S. 5). Die nach hedonischen Maßstäben „beste Entscheidung“ ist folglich diejenige Kaufbzw. Konsumentscheidung, die die positiven Emotionen bzw. das Glück des Konsumenten maximiert (Hsee und Hastie 2006, S. 31).

Dieses hedonische Nutzenverständnis von Bentham prägte die Ökonomie bis ins frühe 20. Jahrhundert. Hauptkritikpunkt war jedoch, dass der erlebte, emotionsbasierte Nutzen kaum adäquat messbar sei (Kahneman et al. 1997, S. 375). [2] Die auf Grund dieser Schwierigkeit lange Zeit aus den Sozialwissenschaften verbannte hedonische Sichtweise auf Nutzen erlebt aktuell eine Renaissance. So postulieren der Psychologe Daniel Kahneman und Kollegen, dass das hedonische Nutzenverständnis besonders geeignet sei, um mentale Nutzenbewertungsprozesse wirklichkeitsnah darzustellen (Kahneman et al. 1997). Aufbauend auf der Grundidee von Bentham entwickelten sie das ursprüngliche hedonische Nutzenverständnis weiter zur sog. hedonischen Psychologie (Psychology of Hedonics – Kahneman et al. 1999). [3]

Auch die hedonische Psychologie postuliert, dass Nutzen in Form des momentan empfundenen Genusses bzw. Schmerzes erlebt wird, den ein Stimulus auslöst. Das emotionale Erlebnis dient als Grundlage für die Nutzenkalkulation. Diese Sichtweise impliziert demnach konsistent mit Bentham, dass positive und negative Emotionen als adäquates Messinstrument für Nutzen angesehen werden (Kahneman und Varey 1991).

Allerdings ist nach Kahneman et al. – als Erweiterung der Gedanken von Bentham – der empfundene Nutzen messbar und hinsichtlich seiner Valenz charakterisierbar: Ausgehend von den Annahmen der Prospect Theorie (Kahneman und Tversky 1979) wird ein neutraler Punkt zwischen Genuss und Schmerz als Ausgangspunkt der Bewertung angenommen. Der mit einem Erlebnis assoziierte Nutzen bestimmt sich aus der subjektiv wahrgenommenen Differenz (Gewinn/ Verlust) des Erlebnisses relativ zu diesem vorher festgelegten Referenzpunkt. Auf diese Weise ist es möglich, nicht nur die Valenz des empfundenen Nutzens zu bestimmen, sondern diesen auch exakt zu quantifizieren. Damit ist der momentan erlebte Nutzen (zumindest auf einer Ordinalskala) messbar. Allerdings variiert der subjektiv empfundene Nutzen eines Ereignisses in Abhängigkeit davon, wie dieses Ereignis geframt wird. In diesem Sinne unterliegt der aus dem Erlebnis abgeleitete Nutzen den üblichen Gesetzen der (selektiven und verzerrten) Wahrnehmung (Kahneman und Varey 1991).

Das psychologische Nutzenverständnis unterstellt demnach in der Forschungstradition der Prospect Theorie eine subjektivistische Nutzenbewertung, die die intangiblen Komponenten eines Objektes als wesentliche Nutzenträger interpretiert (Kahneman und Varey 1991). Zudem berücksichtigen Kahneman et al. explizit irrationales Verhalten der Konsumenten sowie emotionale Komponenten bei der Bewertung von Produkten. Wenn es darum geht, die Bewertung eines hedonischen Produktes bzw. einer Dienstleistung durch den Konsumenten abzubilden, liefern uns die Überlegungen von Kahneman et al. somit wesentliche Erkenntnisse zur konkreten Wirkungsweise von Emotionen im Rahmen der (Nutzen-)Bewertung.

  • [1] Nach dem traditionellen Nutzenverständnis wird der mit einem Produkt assoziierte Nutzen als berechenbarer Fixstern konzeptionalisiert, der sich aus der rationalen Erwartung des Konsumenten an die Eintrittswahrscheinlichkeit eines Ereignisses und den damit verbundenen persönlichen Konsequenzen errechnet (von Neumann und Morgenstern 1947). Die Bewertung erfolgt damit im Moment der Entscheidung auf rein kognitiver Grundlage. Emotionen finden in diesem Kontext per Definition keine Berücksichtigung.
  • [2] Auch Versuche von Edgeworth (1881), den empfundenen Nutzen im Moment des Erlebnisses mit Hilfe einer technischen Apparatur – eines Hedonimeters – zu messen, konnten das Problem nicht lösen (Colander 2007; Edgeworth 1881/1967).
  • [3] Ein Review und eine kritische Diskussion zur Entwicklung des hedonischen Nutzenverständnisses von Bentham und Kahneman finden sich bei Read (2007).
 
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