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3.7 Exkurs: Epistemologische Überzeugungen

Epistemologische Überzeugungen sind mentale Konstrukte, die sich auf „Wissen“ oder – je nach Verständnis – mehr oder weniger eng damit zusammenhängende Aspekte, wie z. B. den Wissenserwerb, beziehen. In der folgenden Definition von Gruber und Stamouli (2009, S. 28) wird deutlich, dass es sich bei epistemologischen Überzeugungen ebenfalls um Vorstellungen handelt:

Unter epistemologischen Überzeugungen („epistemological beliefs“) werden die Annahmen einer Person über die Natur des Wissens verstanden. Epistemologische Überzeugungen bezeichnen also subjektive Vorstellungen über die Objektivität, die Richtigkeit, die Aussagekraft oder die Herkunft von Wissen.

Epistemologische Überzeugungen definieren sich demnach nicht über das jeweilige Individuum, welches bestimmte Vorstellungen hat oder äußert. Anders als teachers' beliefs oder Schülervorstellungen handelt es sich bei epistemologischen Überzeugungen um auf das Objekt “Wissen“ bezogene metakognitive Vorstellungen: das subjektive Wissen über das Wissen. Als Beispiele für Aussagen, in denen die epistemologischen Überzeugungen einer Person deutlich werden, führen Gruber und Stamouli (2009, S. 28) u. a. folgende Beispiele an:

• „Einige Personen können von Natur aus gut lernen, andere haben damit Schwierigkeiten.“

• „Genialität hat mehr mit harter Arbeit als mit Intelligenz zu tun.“

• „Es gibt unumstößliche Wahrheiten.“

Epistemologischen Überzeugungen werden verschiedene Merkmale und Funktionen zugesprochen. Sie gelten als relativ stabile, wenngleich unter bestimmten Umständen oder im Laufe der Zeit veränderbare, kognitive Strukturen, die zumeist unbewusst sind und unreflektiert bleiben. Wie andere mentale Konstrukte haben sie eine Strukturierungsfunktion und sind zu einem gewissen Maße handlungsleitend (vgl. Müller et al. 2008,

S. 2). Die in Kapitel 3.3 theoriegeleitet erläuterten Merkmale und Funktionen von Vorstellungen gelten demnach ebenso für epistemologische Überzeugungen als „Vorstellungen über die Objektivität, die Richtigkeit, die Aussagekraft oder die Herkunft von Wissen“ (Gruber/Stamouli 2009, S. 28).

Im Englischen werden in einer Reihe Studien, die sich mit epistemologischen Überzeugungen befassen, die Begriffe „personal epistemology“ (u. a. Bendixen/Feucht 2010; Brownlee et al. 2011; Chan/Elliott 2004; Hofer 2001, 2002; Hofer/Pintrich 2002; Pintrich 2002; Rule/Bendixen 2010) oder „epistemology“ (u. a. Elby/Hammer 2010; Wood/Kardash 2002) verwendet. Gebräuchlich sind auch die Bezeichnungen „epistemic beliefs“ (u. a. Bendixen 2002; Luft/Roehrig 2007; Murphy et al. 2010), „epistemological beliefs“ (u. a. Bromme et al. 2010; Qian/Pan 2002) oder „epistemological belief system“ (u. a. Schommer-Aikins et al. 2010). Auch eine Betonung des epistemologischen Charakters wie in den Bezeichnungen „epistemological outlooks“ (Fitzgerald/Cunningham 2002), „epistemological thinking“ (Kuhn/Weinstock 2002), „epistemological reflection“ (Baxter Magolda 2002), „epistemic cognition“ (Greene et al. 2010; Wood et al. 2002) sowie „epistemological worldviews“ (Olafson/Schraw 2010) ist geläufig. Aus der Reihe fallen Bezeichnungen wie „reflective jugdement“ (King/Kitchener 2002) oder „ways of knowing“ (Clinchy 2002). Zur (vermeintlichen) begrifflichen Klärung werden teilweise „epistemic beliefs“ („beliefs about knowledge and knowing“) und „epistemological beliefs“ („beliefs about the study of knowledge“) unterschieden (Mason 2010, S. 259). Diese Begriffsvielfalt deutet auf gewisse konzeptionelle Unklarheiten hin bzw. darauf, dass kein einheitliches Begriffsverständnis im Forschungsfeld besteht.

Die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit epistemological beliefs ist vor allem in den USA besonders verbreitet. In Deutschland hingegen ist erst seit den letzten Jahren ein verstärktes Interesse an epistemologischen Überzeugungen zu beobachten (vgl. u. a. Fiechter et al. 2009; Hanekamp 2010; Müller 2009; Müller et al. 2008; Oschatz 2011; Priemer 2006; Trautwein et al. 2004). Mit der Forschung zu „subjektiven Theorien“ existiert jedoch seit den 1980er-Jahren eine Forschungsrichtung, die enge Bezüge zur wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit epistemologischen Überzeugungen aufweist (Dann 1983; Groeben et al. 1988). Im Rahmen des Theorieansatzes der subjektiven Theorien werden den epistemologischen Überzeugungen ähnliche Vorstellungen als „allgemeine Überzeugungssysteme“ und nicht als auf Wissen und Wissenserwerb spezialisierte individuelle Theorien konzeptionalisiert (Müller et al. 2008, S. 2). Demnach beschränkt sich die Nähe beider Forschungszweige auf das Konstrukt der “Überzeugung“ bzw. „subjektiven Theorie“ und nicht auf den Inhaltsbereich „Wissen“.

In der deutschsprachigen Forschung zu epistemologischen Überzeugungen hat sich der Begriff „Überzeugung“ als Übersetzung von belief weitestgehend durchgesetzt. Sie werden entweder als „epistemologische Überzeugungen“ (u. a. Fiechter et al. 2009; Hanekamp 2010; Müller 2009; Müller et al. 2008; Priemer 2006, Schröder 2010; Trautwein et al. 2004; Urhahne 2006), „epistemische Überzeugungen“ (Oschatz 2011) oder mit einer Akzentuierung auf dem Lernbegriff als „Überzeugungen zu Wissen und Lernen“ (Blignaut 2010, Müller/Sulimma 2008) sowie „lerntheoretische Überzeugungen“ (Dubberke et al. 2008) bezeichnet. Epistemologische Überzeugungen sind, auch wenn der Forschungszweig ursprünglich aus der Philosophie stammt, der Kern einer jeden wissenschaftlichen Auseinandersetzung: die Frage nach der Beschaffenheit von Wissen und seiner Erlangung (vgl. Hofer 2002, S. 4). Gleichzeitig sind sie von einer hohen alltagspraktischen Relevanz, wie Hofer deutlich macht. Es beginne bei der Lektüre der Morgenzeitung und der Frage, inwieweit wir den Zeitungsartikeln und den aus ihnen gewonnenen Informationen Glaubwürdigkeit zusprechen (vgl. ebd., S. 3). Da Wissen all jene Fakten, Regeln etc. umfasst, die von einer Person als wahr erachtet werden, sind epistemologische Überzeugungen von ganz grundsätzlicher Relevanz. Sie haben Einfluss auf die Sichtweise und Interpretation von unterschiedlichsten Lebensbereichen, z. B. darauf, ob und welche Wissensautoritäten Menschen anerkennen und ob sie diese hinterfragen.

Epistemologische Überzeugungen beziehen sich auf subjektives Wissen und demnach auch auf das Weltverständnis von Individuen. Dies ist ein (Forschungs-)Interesse, welches vor allem für jene wissenschaftlichen Disziplinen relevant ist, die sich mit dem Lernen und Lehren und der Entwicklung von Individuen beschäftigen, wie auch Fitzgerald und Cunningham feststellen (2002, S. 209f.): „Since education deals with knowledge, epistemology is really education's most fundamental concern.

Dies lässt sich anhand einer Studie von Mason und Scirica (2006) exemplarisch deutlich machen. Im Rahmen einer Studie untersuchten sie, inwiefern die Argumentationsfähigkeit von Schülerinnen und Schülern der 8. Klasse mit deren epistemologischen Überzeugungen zusammenhängt. Dazu wurden diese mit Texten zu zwei kontroversen Themen (Klimawandel und Genfood) konfrontiert. Nach der Textlektüre sollten die Jugendlichen jeweils ein Argument für und gegen die Wandlung des Klimas bzw. die gentechnische Veränderung von Nahrungsmitteln formulieren sowie ein Argument, mit der die Gegenargumentation zurückgewiesen werden konnte. Die Regressionsanalyse zeigte, dass sich das „epistemological understanding” für beide Themen als signifikanter Prädiktor für alle drei Komponenten der Argumentation erwies. Schülerinnen und Schüler mit elaborierteren epistemologischen Überzeugungen waren in der Lage, auf einem höheren Niveau zu argumentieren. Das jeweilige Interesse der Schülerinnen und Schüler spielte hierbei keine signifikante, Vorwissen zu den beiden Themen nur eine untergeordnete Rolle. Die u. a. in dieser Studie gezeigte Bedeutung von epistemologischen Überzeugungen für die Argumentationsfähigkeit macht deutlich, dass epistemologische Überzeugungen beispielsweise auch Einfluss auf die Teilhabemöglichkeiten an gesellschaftlichen Diskursen haben.

Ihren Ursprung hat die Forschung zu epistemologischen Überzeugungen in der Arbeit Jean Piagets zur genetischen Epistemologie (vgl. u. a. Glasersfeld 2011). Dieser befasste sich bereits Anfang des letzten Jahrhunderts mit der Entwicklung von Erkenntnisstrukturen (vgl. Gruber/Stamouli 2009, S. 29). Anknüpfend an seinen Lehrer Piaget, erforschte Perry ab den 1950er-Jahren in einer ersten Langzeitstudie die epistemologische Entwicklung von (überwiegend) männlichen Collegestudenten (vgl. Perry 1970). Er untersuchte die epistemologischen Überzeugungen von Studenten im Vordiplom mittels Interviews und Fragebögen. Ein Ergebnis seiner Studien war, dass die Studenten in der Anfangsphase ihres Studiums einfache epistemologische Überzeugungen von Wissen und Wissenserwerb hatten und beispielsweise an die Gesichertheit von Wissen, das ihnen von den Lehrautoritäten vermittelt wurde, glaubten. Im Laufe des Studiums konnte Perry eine Entwicklung des Wissensverständnisses der Studenten beobachten. Aus einfachen epistemologischen Überzeugungen entwickelte sich ein komplexeres, ausdifferenziertes Wissensverständnis (vgl. Schommer-Aikins 2002, S. 104). Perry identifizierte auf dem Weg zu einem solchen Verständnis vier Stufen in der Entwicklung epistemologischer Überzeugungen: „dualism“, „multiplicity“, „relativism“ und „commitment within relativism“ (Trautwein et al. 2004, S. 188). Perrys Arbeit begründet den Forschungszweig zu epistemologischen Überzeugungen und beeinflusst die nachfolgenden Projekte zu beliefs durch die Wahl seiner Erhebungsmethoden und die Darstellung von Überzeugungen in Stufen methodisch und konzeptionell.

Der Arbeit Perrys folgten Ende der 1970er-Jahre die theoriebildenden Arbeiten von Belenky et al. (1986) zu Women's Ways of Knowing (Belenky et al. 1986; Clinchy 2002) und Baxter Magoldas Forschung (1992; 2002), die im Anschluss zu Perry die epistemologischen Überzeugungen von Frauen mit unterschiedlichem Bildungshintergrund untersuchte. Besonders bemerkenswert an den fünf von Belenky et al. (1986) entwickelten epistemologischen Perspektiven ist die von ihnen ermittelte erste Überzeugungsdimension „silence“. Die befragten Frauen empfanden sich selbst als unwissend und gewissermaßen sprachlos gegenüber anderen Wissensautoritäten – der enge Zusammenhang von epistemologischen Überzeugungen und dem Selbstkonzept wird hier deutlich (vgl. hierzu auch Kapitel 3.3).

Inwieweit Merkmale wie Geschlecht, Ethnie, Milieu und Kultur Einfluss auf das epistemologische Denken und auf die Überzeugungen von Menschen zu Wissen und Wissenserwerb nehmen oder ob epistemologische Überzeugungen weitestgehend unabhängig von diesen Merkmalen sind, wird unterschiedlich eingeschätzt (vgl. Pintrich 2002, S. 407ff.). Vor allem in der Anfangsphase der Erforschung epistemologischer Überzeugungen standen sogenannte „gender issues“ im Vordergrund. In den letzten zehn Jahren werden hingegen verstärkt kulturelle Aspekte epistemologischer Überzeugungen in den Fokus gerückt (vgl. Müller 2009, S. 32 ff.). Diese Arbeiten gehen von der Annahme aus, dass in unterschiedlichen Kulturen ein unterschiedliches Wissensverständnis vorherrscht und sich demnach auch die epistemologischen Überzeugungen unterscheiden (vgl. u. a. Chan/Elliot 2004; Khine 2008). Die Frage der Kulturspezifizität von Überzeugungen bzw. Vorstellungen wird mittlerweile auch im Forschungsfeld der teachers' beliefs in Ländervergleichen untersucht (vgl. u. a. Chin/Barber 2010; Davies et al. 2004; Klassen et al. 2008).

In Bezug auf die Mehrdimensionalität epistemologischer Überzeugungen stellt die Arbeit Schommers (vgl. u. a. 1994; SchommerAikins 2002) einen Wendepunkt in der Forschung zu epistemologischen Überzeugungen dar. Sie entwickelte zunächst theoriegeleitet fünf Dimensionen epistemologischer Überzeugungen [1], und überprüfte diese mit dem von ihr entwickelten SEQ [2] dem wohl am meisten verbreiteten schriftlichen Erhebungsinstrument zur Erfassung epistemologischer Überzeugungen (vgl. Hofer 2002, S. 4 ff.). Dieser diente als Grundlage und Ausgangspunkt für die Entwicklung weiterer Fragebögen und wurde vielfach übersetzt (vgl. u. a. Schraw et al. 2002). Dabei aufgetretene Übertragungsund Übersetzungsprobleme geben Hinweise darauf, dass epistemologische Überzeugungen zu einem gewissen Grad kontextund kulturspezifisch sind (vgl. Müller 2009, S. 32f.).

Kritisiert wird an dem Modell Schommers (1994; 2002) u. a. die mangelnde Trennschärfe zwischen den einzelnen von ihr identifizierten Überzeugungen auf der einen und Wissen und Wissenserwerb auf der anderen Seite (vgl. Szukala 2013, S. 36). Letzteres ist jedoch als ein allgemeines Problem in der Auseinandersetzung mit „Wissen“ anzusehen.

Schommers Ansatz stellte erstmals den Zusammenhang zwischen epistemologischen Überzeugungen und Lernen in den Fokus und begründete die lerntheoretische Auseinandersetzung mit epistemologischen Überzeugungen (vgl. Müller 2009, S. 26). Auch wenn die Einbeziehung von Überzeugungen über das Lernen in die „personal epistemology“ nicht unumstritten ist, lassen sich demnach verschiedene Gründe anführen, warum eine solche Einbeziehung sinnvoll ist (vgl. Schommer-Aikins et al. 2010, S. 33). Lernüberzeugungen entwickeln sich hiernach vor epistemologischen Überzeugungen und stellen deshalb gewissermaßen eine Grundlage der Entwicklung epistemologischer Überzeugung dar. Überdies besteht zwischen beiden Überzeugungssystemen auch eine enge inhaltliche Überschneidung, da Lernüberzeugungen und epistemologische Überzeugungen interagieren (vgl. ebd.).

Müller et al. (2008, S. 10) beschreiben auf Basis der Arbeit von Hofer (2001) die Bedeutung von epistemologischen Überzeugungen für Lehr-Lern-Prozesse anschaulich. Deutlich wird, dass die epistemologischen Überzeugungen der Lehrenden über den Unterricht Einfluss auf die epistemologischen Überzeugungen der Lernenden nehmen. Die epistemologischen Überzeugungen der Lernenden haben wiederum auf andere, für das Lernen relevante Kognitionen wie die Motivation und, eng damit zusammenhängend, die Lernstrategien Einfluss, aber auch auf weitere unterrichtsrelevante Vorstellungen der Lernenden. Es wird einerseits deutlich, dass epistemologische Überzeugungen von Lehrenden und Lernenden eng verknüpft sind und andererseits, dass epistemologische Überzeugungen für das Lehren und Lernen von besonderer Relevanz sind.

Bis zu den Ergebnissen Schommers wurde in der Erforschung epistemologischer Überzeugungen davon ausgegangen, dass epistemologische Überzeugungen eindimensional sind (vgl. u. a. Baxter Magolda 2002; Belenky et al. 1986; Clinchy 2002; King/Kitchener 2002; Perry 1970). Eindimensionale Modelle epistemologischer Überzeugungen sind als Stufenbzw. Entwicklungsmodelle konstruiert. Die einzelnen Stufen der epistemologischen Entwicklung werden nacheinander von einfachen bis zu ausdifferenzierten epistemologischen Überzeugungen durchlaufen.

Mehrdimensionale Modelle hingegen (vgl. u. a. Schommer 1994; Schraw et al. 2002) gehen davon aus, dass sich epistemologische Überzeugungen in mehrere Dimensionen gliedern lassen, die sich auch unabhängig voneinander entwickeln können (vgl. Schröder 2010, S. 141). Hinter dieser Konzeptualisierung kann, wie bei Schommer, die Vorstellung von einem Überzeugungssystem (system of beliefs) stehen, in dem die voneinander mehr oder weniger unabhängigen Dimensionen zusammen ein Überzeugungssystem bilden (vgl. Schommer-Aikins 2002), oder die Konzeptualisierung von voneinander abhängigen epistemological theories wie bei Hofer (2001). In verschiedenen neueren Studien hat sich die Annahme der Mehrdimensionalität epistemologischer Überzeugungen bestätigt (vgl. Müller 2009, S. 35), wenngleich sich nach Rebmann et al. (2013, S. 4) die von Schommer ermittelten Dimensionen zumeist nicht alle zugleich zeigen, sondern meist nur zwei bis fünf Dimensionen empirisch ermittelt werden können.

Die Frage, ob sich unter epistemologischen Überzeugungen nur jene Vorstellungen über Wissen und Wissenserwerb unabhängig von wissenschaftlichen Domänen (vgl. u. a. Schommer-Aikins) oder auch andere, beispielsweise domänenspezifischere Überzeugungen, wie Vorstellungen über bestimmte Wissenschaftsdisziplinen, Schulfächer oder Vorstellungen zum Lernen und Lehren, fassen lassen, stand lange im Zentrum des Forschungszweiges (vgl. Pintrich 2002, S. 390f.). Heute gehen verschiedene Ansätze davon aus, dass es unterschiedliche, den Disziplinen inhärente, epistemologische Überzeugungen gibt. Individuen können demnach unterschiedliche Vorstellungen von Domänen haben, die wichtige Implikationen für das Verstehen in diesen Fächern beinhalten und deshalb auch Einfluss auf das Lehren nehmen. Dies wird beispielsweise in der Studie von Norton et. al (2005) deutlich. Im Rahmen der Studie zu Lehrervorstellungen und Intentionen von Hochschullehrpersonen zeigt sich, dass sowohl die Lehransätze als auch die präferierten Lehr-Lern-Methoden der Lehrenden als domänenspezifisch zu beschreiben waren bzw. sich in ihnen fachspezifische epistemologische Überzeugungen widerspiegelten (vgl. ebd., S. 553ff.).

Von der Annahme der Domänenspezifizität epistemologischer Überzeugungen ausgehend, haben sich Forschungszweige zu epistemologischen Überzeugungen in einzelnen Disziplinen, von der Psychologie ausgehend, zunächst in der Mathematik und daran anknüpfend in der mathematischen und naturwissenschaftlichen Didaktik entwickelt (vgl. hierzu u. a. Hofer 2002, S. 4; Op't Eynde et al. 2002; Voss et al. 2013, S. 250f.). Insbesondere durch die Erhebung von epistemologischen Überzeugungen in Schulvergleichsstudien wie TIMSS III (vgl. Baumert et al. 2000) wurden diese dann auch in der empirischen Lehr-Lern-Forschung rezipiert.

Bekannt sind aus der Mathematikdidaktik beispielsweise die von Schoenefeld Anfang der Neunzigerjahre erforschten mathematical world views von Schülerinnen und Schülern. Dieses Forschungsgebiet wurde in Deutschland unter anderem von Grigutsch und Törner (1994) weitergeführt, die im Wesentlichen zwei mathematische Weltsichten – eine statische und eine dynamische Sicht auf die Mathematik – belegen konnten (vgl. hierzu auch Voss et al. 2013, S. 251). Auch in den Naturwissenschaften und den naturwissenschaftlichen Didaktiken (vgl. u. a. Bell/Linn 2002; Elder 2002) entwickelte sich ein domänenspezifisches Interesse an epistemologischen Überzeugungen, welches sich von der psychologischen in eine fachdidaktische Ausrichtung differenziert, wie beispielsweise Priemer (2006) für die Didaktiken der Naturwissenschaften konstatiert. Dieses fachdidaktische Interesse unterscheidet sich in Abgrenzung zur Psychologie darin, dass fachspezifische Überzeugungen über die Naturwissenschaften erhoben und diese im Hinblick auf Stimmigkeit und Angemessenheit überprüft werden sollen (vgl. ebd., S. 163). Kennzeichnend für die fachdidaktische Perspektive ist nach Priemer darüber hinaus, dass mathematikoder naturwissenschaftsdidaktische Studien einen umfassenderen Begriff von belief haben und Überzeugungen zum Lernen und Lehren in ihre Domäne mit einbeziehen (vgl. auch De Corte et al. 2010). In Deutschland werden epistemologische Überzeugungen vermehrt in der Berufsbildung erforscht (vgl. u. a. Berding 2013; Hanekamp 2010; Rebmann et al. 2013; Seifried 2013).

Neben originär epistemischen Vorstellungen werden je nach Kontext auch domänenspezifische Überzeugungen mit teilweise epistemischem Charakter erforscht. Die Abgrenzung bzw. Zuordnung zum Forschungsfeld „epistemologische Überzeugungen“ ist in den einzelnen Projekten mehr oder weniger eindeutig. Die Adaption und Ausdifferenzierung in unterschiedliche Domänen wird dadurch ermöglicht, dass nach über fünfzig Jahren Grundlagenforschung ein etablierter Korpus an Theorien und Modellen und auch standardisierten Instrumenten zur Erhebung epistemologischer Überzeugungen zur Verfügung stehen. Diese werden dazu genutzt, den Zusammenhang von epistemologischen Überzeugungen und anderen Variablen zu erforschen (vgl. u. a. Schröder 2010; Trautwein et al. 2004; Urhahne 2006). Bisher konnten u. a. Zusammenhänge zwischen epistemologischen Überzeugungen und Problemlösefähigkeit, Selbstkonzept, Lernstrategien, Notendurchschnitt, Motivation und Textverstehen belegt werden (vgl. Schröder 2010, S. 141).

Verschiedene Studien geben Hinweise darauf, dass es intrapersonale und interpersonelle domänenspezifische Unterschiede in den epistemologischen Überzeugungen von Individuen gibt (vgl. u. a. Trautwein et al. 2004) und die Entwicklung dieser domänenspezifischen Überzeugungen abhängig von der Struktur des Wissens der einzelnen Domänen ist (vgl. Drechsel 2001, S. 42). Aufgrund dieser Ergebnisse gehen wir heute davon aus, dass epistemologisches Denken zu einem gewissen Grad domänenspezifisch ist bzw. dass epistemologische Überzeugungen multidimensional sind und auch domänenspezifische Überzeugungen beinhalten (vgl. u. a. De Corte et al. 2002 S. 293f.; Szukala 2013, S. 35).

In Bezug auf Lehrervorstellungen ist diese Erkenntnis beispielsweise im Hinblick auf Vorstellungen zu einzelnen Schulfächern (beliefs about subject) relevant (vgl. Chin/Barber 2010, S. 397). Diese werden auch im Rahmen der vorliegenden Studie für die ökonomische Bildung erhoben. Neben der Forschung zu domänenspezifischen epistemologischen Überzeugungen existiert auch ein entwicklungspsychologisch dominierter Forschungszweig (vgl. Wildenger et al. 2010, S. 252), wie beispielsweise die Arbeit zu epistemologischen Urteilsbereichen von Kuhn et al. (2000).

Das gesteigerte Interesse an epistemological beliefs in Deutschland wirkt sich auch auf die wissenschaftliche Aufmerksamkeit für andere Vorstellungsarten, wie teachers' beliefs aus, wie jüngere deutsche Publikationen, beispielsweise der Tagungsband von König (2012a) zu teachers' paedagogical beliefs, zeigen. Die Auseinandersetzung mit epistemologischen Überzeugungen von Lehrpersonen stellt hierbei eine Schnittstelle zwischen der Erforschung von epistemologischen Überzeugungen und teachers' beliefs dar. Den epistemologischen Überzeugungen von Lehrpersonen widmet sich Kapitel 4.9, welches in das folgende Kapitel zu Lehrervorstellungen eingebettet ist.

  • [1] ,,[…] (a) the stability of knowledge, ranging from tentative to unchanging; (b) the structure of knowledge, ranging from isolated bits to integrated concepts; (c) the source of knowledge, ranging from handed down by authority to gleaned from observation and reason, (d) the speed of knowledge acquisition, ranging from quick-all-or-none learning to gradual learning, and (e) the control of knowledge acquisition, ranging from fixed at birth to life-long improvement “(Schommer-Aikins 2002, 104f.)
  • [2] SEQ = Schommer Epistemological Questionnaire
 
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