Desktop-Version

Start arrow Pädagogik arrow Wirtschaftsunterricht aus der Sicht von Lehrpersonen

  • Increase font
  • Decrease font


<<   INHALT   >>

3.2 Formale Merkmale und Systematisierung in Forschungsfelder

Zur näheren Bestimmung von Vorstellungen werden in der entsprechenden wissenschaftlichen Literatur vor allem die formalen Merkmale (1) Träger, (2) intentionaler Gegenstandsbezug und (3) Kontext der jeweiligen Vorstellung herangezogen, die im Folgenden zusammengestellt sind (vgl. Abb. 6). Diese formalen Merkmale sind im Sinne einer ersten Annäherung eine Möglichkeit, Vorstellungen näher zu bestimmen.

Abbildung 6 Formale Merkmale von Vorstellungen

Der intentionale Gegenstandsbezug von Vorstellungen kann in Größe und Komplexität variieren und sowohl für eine Domäne spezifisch als auch eher von allgemeiner Bedeutung sein. Menschen haben sowohl Vorstellungen zu einzelnen Begriffen oder Konzepten als auch zu komplexeren oder abstrakteren Prozessen. Beispielhaft denkbar sind für Wirtschaftslehrpersonen u. a. fachwissenschaftliche Vorstellungen zu einzelnen wirtschaftlichen Zusammenhängen genau wie didaktische Vorstellungen zu gutem Unterricht im Allgemeinen oder fachdidaktische Vorstellungen darüber, wie Wirtschaftsunterricht im Besonderen gestaltet werden sollte.

Der Vorstellungskontext ist nicht immer distinktiv zum Gegenstandsbezug der Vorstellung, je nachdem wie eng oder weit der Begriff „Kontext“ verstanden wird. Beispielsweise sind sowohl Lehrerals auch Schülervorstellungen im Kontext Schule und Unterricht zu verorten, ohne dass diese Bezeichnung Aufschluss darüber geben würde, um welche Art von Vorstellungen es sich dabei im Speziellen handelt. Deshalb werden Vorstellungen zumeist primär über den Vorstellungsträger und den Gegenstandsbezug und nur sekundär über ihren Kontext definiert.

Das Ziel der Forschung bei der Erhebung von Vorstellungen ist die Rekonstruktion und Analyse von subjektiver Wirklichkeit verschiedener Personengruppen zu unterschiedlichen Gegenstands-bereichen (vgl. auch Pahl 2012, S. 29). In der pädagogischen, psychologischen und (fach-)didaktischen Vorstellungsforschung werden subjektbezogene Vorstellungen, vor allem Schülerund Lehrervorstellungen bzw. Vorstellungen von zukünftigen Lehrerinnen und Lehrern, analysiert (vgl. u. a. Fischler 2001a). Prinzipiell wären aber auch die Vorstellungen von anderen an Bildungsprozessen Beteiligten (wie z. B. Eltern) mögliche wissenschaftliche Forschungsfelder.

Steinmann und Oser (2012) machen deutlich, dass die Vorstellungen von Lehrerausbilderinnen und -ausbildern und ihr Einfluss auf die Vorstellungen angehender Lehrpersonen ebenfalls ein weiteres relevantes wissenschaftliches Feld im Kontext der Erforschung von Lehrervorstellungen sein können (vgl. auch Raths/McAninch 2003).

Zanting et al. (2001) untersuchten bereits Vorstellungen angehender Lehrpersonen und ihrer Mentorinnen und Mentoren sowie den Umgang der zukünftigen Lehrpersonen mit den eigenen und fremden Vorstellungen. Hierzu wurden die Vorstellungen beider Gruppen mit unterschiedlichen Methoden erhoben (v. a. concept mapping und Vervollständigung von Sätzen). Diese Studie zeigte, dass die Explizierung und systematische Auseinandersetzung mit den eigenen Vorstellungen und denen der Mentorinnen und Mentoren sowie mit wissenschaftlichen Theorien Lernprozesse bei den angehenden Lehrpersonen initiieren können. Deutlich wird auch, dass die Reflexion und Auseinandersetzung mit den unterschiedlichen Vorstellungen vom Lehren und Lernen in der Lehrerausbildung genutzt werden können (vgl. ebd., 2001, S. 737f.).

Im Gegensatz zur Lehrervorstellungsforschung ist die Auseinandersetzung mit Schülervorstellungen in den verschiedenen Fachdidaktiken sehr verbreitet. Sie sind aber auch in der Entwicklungspsychologie und der pädagogischen Psychologie von Interesse, die beispielsweise die epistemologischen Überzeugungen von Kindern und Jugendlichen untersuchen. In den Fachdidaktiken sind die naturwissenschaftlichen Didaktiken und die Mathematikdidaktik jene, die als Erste und deshalb bis heute auch am umfassendsten Schülervorstellungen erhoben haben (vgl. u. a. Baalman et al. 2004; Barke 2006; Janßen-Bartels 2003; Kattmann 2005; Menzel/Bögeholz 2006; Riemeier 2007). Diese Tradition der Erhebung von Schülervorstellungen reicht bereits bis zum Anfang des letzten Jahrhunderts zurück, gefolgt von den prominenteren Arbeiten wie denen Piagets, die mit der Erforschung von Schülervorstellungen in enger Verbindung stehen (vgl. Duit 1995, S. 906). Mitte der 1970er-Jahre setzte dann ein „Boom“ (ebd., S. 906) der Schülervorstellungsforschung ein, der bis heute anzudauern scheint und nun auch von anderen Fächern aufgegriffen wird. Die STCSE-Bibliographie [1], die seit 30 Jahren kontinuierlich ergänzt und am IPN [2] geführt wird, dokumentiert diese umfangreiche internationale Forschung der naturwissenschaftlichen Fachdidaktiken.

In den sozialwissenschaftlichen Fachdidaktiken finden sich zu Schülervorstellungen Studien jüngeren Datums als in der Geschichtsdidaktik (vgl. u. a. Bernhardt 2012) und der Politikdidaktik (vgl. u. a. Böhmer/Cebulla 2011; Heidemeyer/Lange 2010; Klee/Lutter 2010; Lange 2012; Lutter 2011). Auch in der ökonomischen Bildung gibt es Studien zu Vorstellungen von Schülerinnen und Schülern (vgl. u. a. Aprea 2013; Birke/Seeber 2011a, b, 2012; Davies/Lundholm 2012; Friebel et al. 2013, 2014; Speer/Seeber 2013; Weber et al. 2002). Hinter der Sammelbezeichnung „Sozialwissenschaften“ verbergen sich verschiedene Fächer mit einer eigenständigen und zum Teil jungen fachdidaktischen Tradition. Deshalb ist auch die Schülerund Lehrervorstellungsforschung in diesen Fächern weniger weit entwickelt als in den etablierteren Fachdidaktiken, wie der Mathematikdidaktik. Hinzu kommt eine im Vergleich zu den naturwissenschaftlichen Fachdidaktiken und der Mathematikdidaktik weniger starke Internationalisierung, die sich ebenfalls auf den geringeren Grad an Institutionalisierung dieser Fächer zurückführen lässt. Eine weitere Ursache für die kürzere Geschichte ist, dass die empirische Forschung in den sozialwissenschaftlichen Fächern eine wesentlich kürzere Geschichte als in anderen Fachdidaktiken hat. Dies gilt auch für die ökonomische Bildung (vgl. Birke 2013, S. 87).

In der Geschichte der Mathematikund Naturwissenschaftsdidaktik hat sich gezeigt, dass zunächst Schülervorstellungen erhoben wurden, bevor sich die fachdidaktische Aufmerksamkeit, vor allem im Kontext der Lehrerprofessionalisierungs und Lehrerkompetenz-forschung, auch auf die Vorstellungen von Lehrpersonen gerichtet hat. Im Kontext einer konstruktivistisch orientierten Unterrichtsforschung, die vorrangig den Lerner in den Mittelpunkt stellt, ist eine solche sukzessive Vorgehensweise verständlich. Diese ist jedoch nicht unproblematisch, da auch in gemäßigt konstruktivistisch orientierten Lernarrangements den Lehrpersonen entscheidender Einfluss zugesprochen wird (vgl. Kapitel 4.3). Ein wesentlicher Bestandteil des Lehrereinflusses sind Vorstellungen von Lehrerinnen und Lehrern, die sich auf verschiedene Gegenstandsbereiche beziehen können.

In der Vorstellungsforschung werden die Vorstellungen verschiedener Vorstellungsträger zu unterschiedlichen Gegenstandsbereichen und in verschiedenen Kontexten erhoben. Ziel ist neben der theoretisch-konzeptionellen Auseinandersetzung die empirische Erhebung und Analyse verschiedener Vorstellungsarten, die Erforschung des Wirkungszusammenhangs von Vorstellungen und Handlungen, u. a. in Lehr-Lern-Prozessen, sowie die Wechselwirkung zwischen Vorstellungen und anderen kognitiven Konstrukten, die Einfluss auf das Denken und Handeln von Individuen innerhalb und außerhalb von Lehr-Lern-Prozessen nehmen. Unter dem Dach der cognitive science (Kognitionswissenschaften) lassen sich einzelne wissenschaftliche Felder identifizieren und ausdifferenzieren, die zum Teil domänenspezifisch Vorstellungen erforschen, wobei die einzelnen Fächer auf eine unterschiedlich lange Geschichte in diesen Forschungsfeldern zurückblicken können. Außerdem kann die Vorstellungsforschung auch in domänenübergreifende Bereiche systematisiert werden, die sich an den Vorstellungsarten orientiert, z. B. in die Forschungsfelder Schülervorstellungen [3], epistemologische Überzeugungen (vgl. Kapitel 3.7) oder Lehrervorstellungen (vgl. Kapitel 4.6).

  • [1] STCSE: Students' and Teachers' Conceptions and Science Education, online verfügbar unter: ipn.uni-kiel.de/aktuell/stcse/stcse.html, letzter Zugriff: 24.06.2012.
  • [2] IPN: Leibnitz Institut für die Pädagogik der Naturwissenschaften und Mathematik (Kiel)
  • [3] Schülervorstellungsforschung ist nicht Gegenstand der vorliegenden Arbeit. Vgl. als Überblick zur Schülervorstellungsforschung in der ökonomischen Bildung Kirchner 2014
 
<<   INHALT   >>

Related topics