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2.1.1 Teil einer zeitgemäßen Allgemeinbildung

Grundlage der Integration ökonomischer Bildung in das allgemeinbildende Schulsystem ist die Prämisse, dass sie elementarer Bestandteil einer zeitgemäßen Allgemeinbildung ist. Im Vergleich zu anderen Schulformen wurde die ökonomische Bildung am Gymnasium in Niedersachsen vergleichsweise spät, im Jahr 2006, in das Schulfach „Politik“ integriert. Dabei ist die Stundenanzahl für das neue Fach „Politik-Wirtschaft“ gleich geblieben, obwohl nun zwei Disziplinen statt vorher nur einer im Rahmen dieses Faches unterrichtet werden. Im Rahmen der vorliegenden Studie zu Lehrervorstellungen ist es also insbesondere im Hinblick auf die Lehrpersonen, die heute auch ökonomische Bildung am Gymnasium unterrichten, erkenntnisreich zu erheben, wie diese die Bedeutung ökonomischer Bildung für eine zeitgemäße Allgemeinbildung beurteilen. Die Frage der Allgemeinbildungsrelevanz ökonomischer Bildung ist jedoch auch für die Vorstellungen der Wirtschaftslehrpersonen an den anderen Schulformen von Bedeutung, denn sie betrifft Vorstellungen

• zu Zielen in Bezug auf das Lernen und Lehren im Wirtschaftsunterricht (z. B. Welchen Beitrag soll ökonomische Bildung zur Allgemeinbildung von Schülerinnen und Schülern leisten? Wie relevant ist dieser Beitrag im Hinblick auf das zukünftige Leben der Lernenden? Welche Bildungsziele legen die Lehrpersonen der Auswahl von Inhalten und Methoden im Wirtschaftsunterricht zugrunde?) (vgl. Kapitel 6.2, 6.3, 6.4 und 6.5) und

• zur Situation des Schulfachs (z. B. Wie wird die curriculare Verankerung ökonomischer Bildung vor dem Hintergrund der zugesprochenen Bildungsbedeutsamkeit von den Lehrpersonen beurteilt?) (vgl. Kapitel 6.7).

Nach Kaminski (2012) und Kruber (2006) ist die Legitimation ökonomischer Bildung nicht als abzuschließende Aufgabe zu betrachten, sondern, aufgrund ihres nicht in allen deutschen Bundesländern gefestigten bildungspolitischen Status, als prozesshafter fachdidaktischer Entwicklungsauftrag zu begreifen. Begründet wird der Allgemeinbildungscharakter ökonomischer Bildung weniger mit der Allgegenwart von Wirtschaft und Ökonomie, sondern vornehmlich bildungstheoretisch (vgl. Krol et al. 2006a, S. 62).

Wesentliche Argumente hierfür gehen auf Albers zurück (1987; 1994). Als Allgemeinbildung werden von Albers all jene „allgemeinbedeutsamen Bildungsinhalte“ definiert, die „[...] Individuen mit jenen Kenntnissen, Fähigkeiten, Einsichten, Haltungen usw. [ausstatten, Anm. d. V.], die ihnen eine personal verantwortbare Bewältigung der für alle strukturell gleichen Lebenssituationen ermöglichen“ (ebd. 1994, S. 34). Ökonomische Bildung als Teil von Allgemeinbildung wird von der ökonomischen Berufsbildung abgegrenzt, die im Unterschied zu allgemeinbildenden Bildungsgehalten vor allem jene – heute als Kompetenzen zu bezeichnende – Fähigkeiten, Haltungen und Fertigkeiten umfassen, die zur Bewältigung beruflicher Anforderungen benötigt werden. Albers stellt das Verständnis von Allgemeinbildung als ein historisch gewachsenes, vom Neuhumanismus geprägtes Bildungsverständnis dar, welches jedoch nicht mehr dem „zeitgemäßen Bildungbegriff“ entspricht (ebd., S. 31). Ökonomische Bildung ist demnach „[...] unter den Bedingungen der heutigen Zeit keine Berufsbildung, sondern notwendiger Bestandteil der Allgemeinbildung“ (ebd., S. 35).

Kruber (2006) betont die Komplementarität von Berufsbildung und Allgemeinbildung und beschreibt das Bildungsverständnis des Neuhumanismus als nicht mehr zeitgemäß („Ausklammerung des praktischen Lebens“, vgl. ebd., S. 189). In Anknüpfung an die allgemeine Didaktik beschreibt auch er ökonomische Bildung als „existenziellen Bestandteil von Allgemeinbildung“ (ebd., S. 191).

Nach Krol und Zoerner (2008, S. 94) sowie Loerwald (2008b, S. 343) ist der Kern von Allgemeinbildung ein „Teilhabeversprechen“, welches den Individuen ermöglicht, das eigene Leben und das Zusammenleben in der Gesellschaft mündig (mit-)gestalten zu können. Ökonomische Bildung leistet nach diesem Verständnis einen Beitrag zur Persönlichkeitsentwicklung, Lebensbewältigung, gesellschaftlichen Teilhabe und Mitgestaltung und umfasst sowohl die individuelle als auch die gesamtgesellschaftliche Ebene (vgl. ebd.). Dies wird auch in der Tatsache deutlich, dass Mündigkeit als übergeordnete Leitidee ökonomischer Bildung definiert wird (vgl. Kapitel 2.1.3).

Der Erziehungswissenschaftler Ladenthin macht in seinem Aufsatz „Die Ökonomie muss als Teil des schulischen Bildungsauftrags neu interpretiert werden“ (2006) deutlich, dass es bei der Konzeptionalisierung (ökonomischer) Bildung nicht um eine ökonomische Inanspruchnahme und Verabsolutierung von Bildungsprozessen gehe, sondern darum, zukünftigen Generationen Welt-Verstehen und eine umfassende Gestaltungsfähigkeit zu ermöglichen. Dies könne jedoch nur unter Einbeziehung und Berücksichtigung ökonomischer Bildung im Sinne eines umfassenden Bildunsgverständnisses eingelöst werden (vgl. ebd., S. 46).

Wenn Schule ihren Allgemeinbildungsauftrag ernst nimmt, gehört ökonomische Bildung als Teil einer zeitgemäßen Allgemeinbildung dazu. Dies begründen Krol und Zoerner (2008, S. 96ff.) mit den Charakteristika einer veränderten „modern funktional differenzierten Gesellschaft“. Als Phänomene der Veränderung bezeichnen sie einen „zunehmenden Wertepluralismus“, „wachsende Wahlfreiheit“ und „Individualisierung“ innerhalb der Gesellschaft (ebd.; vgl. hierzu auch Achtenhagen et al. 2005, S. 37ff.). Diese gesellschaftlichen Veränderungen führen dazu, dass ökonomische Kompetenzen heute zu einem unverzichtbaren Bestandteil von Allgemeinbildung in der modernen Wissensgesellschaft geworden sind, da die veränderten gesellschaftlichen Rahmenbedingungen ohne entsprechende ökonomische Bildung nicht zu bewältigen sind. In der Erklärung struktureller Probleme moderner Gesellschaften mittels Einnahme einer ökonomischen Perspektive und Denkweise und der Ermittlung von Lösungsansätzen liegt der originäre Beitrag ökonomischer Bildung zur Allgemeinbildung (Krol et al. 2011)

Der fachdidaktische Ansatz von Krol et al. lässt sich vor diesem Hintergrund deshalb nicht nur als institutionentheoretisch, sondern vor allem auch als problemorientiert beschreiben, da die Auseinandersetzung mit gesamtgesellschaftlichen Problemen und Herausforderungen Kern dieses fachdidaktischen Ansatzes ist (vgl. u. a. Loerwald 2009). Um herauszufinden, welche Rolle das in der ökonomischen Bildung relevante Prinzip der Problemorientierung in den Vorstellungen der Lehrpersonen zum Wirtschaftsunterricht spielt, wird dieses als ein Impuls im Interviewleitfaden berücksichtigt (vgl. zum Interviewleitfaden Kapitel 5.2.3).

 
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