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2 Das Aktivierungskonzept für arbeitsfähige Bedürftige im BSHG und im SGB II und ihre sozialpolitische Einordnung

Die Veränderung der personenbezogenen Unterstützung für arbeitsfähige Bedürftige im deutschen Fürsorgesystem hat gesetzlichen Ausdruck in der Ablösung des BSHG durch das SGB II gefunden. Die Stoßrichtung dieser Veränderung wurde in Novellierungen des BSHG seit den 90er Jahren des letzten Jahrhunderts teils vorbereitet und teils vorweggenommen.

In diesem Kapitel wird in Bezug zu den gesetzlichen Grundlagen das Konzept der personenbezogenen Unterstützung für arbeitsfähige Bedürftige im deutschen Fürsorgesystem, zunächst für das BSHG und danach für das SGB II beschrieben (Abschnitt 2.1). Darauf aufbauend wird das diesen Konzepten jeweils zu Grunde liegende Verständnis von Aktivierung mit Hilfe verschiedener Aktivierungsbegriffe aus der Sozialpolitikforschung charakterisiert (Abschnitt 2.2). Abschließend wird in Anlehnung an Gösta Esping-Andersens Wohlfahrtsregimetypen eingeschätzt, auf welche Grundvorstellung von Wohlfahrt und Wohlfahrtsproduktion die Aktivierungskonzepte des BSHG und des SGB II bezogen sind (Abschnitt 2.3).

2.1 Das Aktivierungskonzept des BSHG und des SGB II

Im deutschen Fürsorgesystem sind die gesetzlichen Grundlagen für die personenbezogene Unterstützung arbeitsfähiger Bedürftiger zunächst im BSHG und danach im SGB II geregelt worden. Die sich in diesen Gesetzen jeweils ausdrückende Aktivierungsvorstellung wird im Folgenden schwerpunktmäßig vor dem Hintergrund einschlägiger Rechtskommentare und Beiträgen von Sozialrechtsexperten herausgearbeitet. Die Rekonstruktion ist schwerpunktmäßig auf die Auslegung der Gesetzestexte des BSHG in der Fassung vom 27. Dezember 2003 und des SGB II in der Fassung vom

19. November 2004 bezogen.

2.1.1 Die ‚persönliche Hilfe' des BSHG

Bis zum Ende der Gültigkeit des BSHG am 31.12.2004 waren personenbezogene Dienstleistungen für arbeitsfähige und nicht-arbeitsfähige Bedürftige auf der Grundlage der §§ 8, 11 und 17 BSHG zu erbringen. Im Mittelpunkt dieser Unterstützung stand das Konzept der „persönlichen Hilfe“, im Sinne einer sozialen Beratung und persönlichen Unterstützung. Es beinhaltete als Aufgaben die auf den Einzelfall bezogene „Beratung in sonstigen sozialen Angelegenheiten“, mithin Sozialberatung ohne Rechtsberatung in Fragen der Sozialhilfe, und „allgemeine Lebenshilfe und Betreuung“. Persönliche Hilfe in diesem Sinne, die einschloss, „dem Hilfesuchenden aufzuzeigen, wie er sich selbst helfen kann“, realisierte sich in einer Vielzahl sehr unterschiedlicher Einzelleistungen. Dazu gehörten die Übernahme bestimmter Tätigkeiten, die Betreuung, die Begleitung, die Ermutigung bis hin zur Unterstützung bei der Arbeitssuche und die Erstellung eines Berufswegund Qualifizierungsplans. Hierin drückte sich ein pädagogischer Auftrag aus. Abzugrenzen waren soziale Beratung und persönliche Unterstützung gegenüber bloßer Auskunft, Information, Aufklärung und Weiterverweisung, z.B. an Fachberatungsstellen.

Nach § 11 SGB I zählte die persönliche Hilfe zu den sozialen Dienstleistungen. Diese waren auf die beiden zentralen fachlichen Ziele der Sozialhilfe bezogen, dem an erster Stelle genannten Ziel der „menschenwürdigen Lebensführung“ und dem Ziel, bedürftige Personen dabei zu unterstützen, soweit wie möglich wieder unabhängig von Sozialhilfeleistungen zu leben. Soziale Beratung und persönliche Unterstützung zielten demnach zunächst darauf, die Eingliederung bedürftiger Personen in die Gesellschaft über die Hilfe zum Lebensunterhalt sicherzustellen und sie auf dieser Grundlage dabei zu unterstützen, den Übergang von der Sozialhilfe in eine eigenständige Lebensführung zu bewältigen. Dies schloss vorbeugende Hilfen zur Vermeidung eines Abrutschens in den Sozialhilfebezug ein. Freilich standen soziale Beratung und persönliche Unterstützung unter dem Vorbehalt des Nachranggebots der Sozialhilfe. Nur insoweit bedürftige Personen weder selbst noch durch das um sie herum geknüpfte solidarische Netz, wozu neben den Leistungsansprüchen aus dem Sozialversicherungssystem vor allem die familiäre Unterstützung zählte, ihre Bedürftigkeit verhindern oder überwinden konnten, hatten sie Anspruch auf Leistungen des Fürsorgesystems. Dies bedeutete, dass die in sozialer Beratung und Unterstützung sich ausdrückende persönliche Hilfe im Spannungsverhältnis von Nachrangsicherung und individuellem Bedarf zu erbringen war. Dabei war zu beachten, dass das Nachranggebot seinerseits durch den Grundsatz der Sicherung und Ermöglichung einer menschenwürdigen Lebensführung bedürftiger Personen beschränkt wurde.

Obgleich sich die soziale Beratung und persönliche Unterstützung auf alle Aspekte der Lebenslage bedürftiger Personen erstreckte, war durch Novellierungen des BSHG seit den 1990er Jahren der Stellenwert der erwerbsorientierten Ausstiegsberatung erheblich gestärkt worden. Vor allem mit dem im Jahre 1993 neu in das BSHG aufgenommenen § 17 sei, so die Sozialrechtlerin Helga Spindler, eine einseitige Betonung jener Aspekte von Beratung und Unterstützung festgeschrieben worden, die auf die Befähigung der bedürftigen Personen zielte, wieder unabhängig von Sozialhilfe zu werden. Mit den Präzisierungen und Erweiterungen der gesetzlichen Bestimmungen des BSHG im Abschnitt ‚Hilfe zur Arbeit' rückte folgerichtig die Herstellung und Wiedererlangung der Arbeitsund Erwerbsfähigkeit bedürftiger Personen in den Vordergrund der Unterstützung. Darüber hinaus wurden die Vermittlungschancen be-dürftiger Personen auf den ersten Arbeitsmarkt durch die im Rahmen von Experimentierklauseln des BSHG eröffneten Zusammenarbeit von Sozialund Arbeitsämtern ausgeweitet. Insgesamt sollte die Betonung der arbeitsund erwerbsorientierten Ausstiegsberatung im BSHG dazu führen, dass sich in der Beratungspraxis, bei der Erschließung von Hilfen im Gesamtsystem sozialer Sicherung und bei der Mobilisierung von Potentialen und Ressourcen der bedürftigen Personen und ihres Umfeldes, der Schwerpunkt in Richtung der Ermöglichung von und der Vermittlung in Beschäftigung und Erwerbsarbeit verschob.

Die rechtlichen Rahmenbedingungen für die Erbringung der sozialen Beratung und der persönlichen Unterstützung regelten im Wesentlichen die Beteiligung und Mitwirkung der Bedürftigen an der Hilfe, sowie die Grenzen der Kosten für diese Hilfen. Das BSHG legte fest, dass die Fachkräfte das Wunschund Wahlrecht der Bedürftigen „angemessen“ und unter Abwägung „unverhältnismäßige[r] Mehrkosten“ zu berücksichtigen hatten. Nach Auffassung der Sozialrechtlerin Helga Spindler bestand für die Bedürftigen keine „Pflicht, sich an einem Beratungsangebot verbindlich zu beteiligen, sich auf diesen Prozess einzulassen und zu offenbaren“. Da im BSHG Mitwirkungspflichten der Bedürftigen an der sozialen Beratung und persönlichen Unterstützung, im Unterschied zur Gewährung bei der Hilfe zum Lebensunterhalt, nicht einschlägig geregelt waren, konnten nur mittelbar und unter eng begrenzten Bedingungen Sanktionen abgeleitet werden. In der Sozialhilfepraxis wurde das Instrument der Sanktion, gestützt auf unterschiedliche Auslegungen einschlägiger Rechtskommentare und auf eine unterschiedliche Rechtsprechung, tendenziell umfassender und weitreichender angewandt. Die soziale Beratung und persönliche Unterstützung sollte von den Fachkräften wirtschaftlich und sparsam erbracht werden. Dabei war die effizienzorientierte Verwendung von Mitteln des Sozialhilfeträgers auf die den qualitativen Anforderungen genügende kostengünstigste Leistung, nicht jedoch auf die als erforderlich angesehene Leistung selbst bezogen. Allerdings verwies die Praxis der Bewilligung und Erbringung von Leistungen in Sozialämtern, insbesondere unter der Bedingung eines extremen kommunalen Haushaltsdefizits, auf die Gefahr einer Umdeutung dieses Zusammenhangs.

Aus welchem fachlichen Grundverständnis heraus die soziale Beratung und persönliche Unterstützung der Bedürftigen zu erbringen war, hatte der Gesetzgeber offengelassen. Allerdings ließen Gesetzesbegründungen und vor allem die seit etwa Mitte der 90er Jahre des letzten Jahrhunderts bei Sozialämtern verstärkt einsetzende Rezeption und Implementation von Methoden und Techniken der Sozialen Arbeit, wie insbesondere der Beratung, der Hilfeplanung und zunehmend auch dem Case Management, erkennen, dass zur Erbringung des im Konzept der persönlichen Hilfe eingeschmolzenen pädagogischen Auftrages eine sozialarbeiterische und sozialpädagogische Fachkompetenz von besonderer Relevanz sei. Dabei plädierten Fachvertreter der Sozialen Arbeit für einen motivierenden Ansatz der aktivierenden Unterstützung von Bedürftigen und die Sozialrechtlerin Helga Spindler präzisierte, dass „Unabhängigkeit und Kompetenz des Beraters [...], Vertraulichkeit des Beratungsprozesses, Auswahlmöglichkeiten unter Angeboten, Freiwilligkeit der Annahme des Angebotes, eine akzeptierende Atmosphäre und letztlich ein merkbarer Nutzen des Angebots [für die Bedürftigen; Hinweis: Einfügung B.H.]“ zentrale Voraussetzungen für ein beratungsund unterstützungsfreundliches Klima sind.

Zur Erbringung der Hilfen der Sozialhilfe im allgemeinen und der sozialen Beratung und persönlichen Unterstützung im besonderen sollten „Personen beschäftigt werden, die sich hierfür nach ihrer Persönlichkeit eignen und in der Regel entweder eine ihren Aufgaben entsprechende Ausbildung erhalten haben oder besondere Erfahrungen im Sozialwesen besitzen“. Hierunter fielen in erster Linie Sachbearbeiter mit einer allgemeinen Ausbildung für die Beamtenlaufbahn der Verwaltung und examinierte Sozialarbeiter und Sozialpädagogen. Ihren Einsatz schrieb der Gesetzgeber den Sozialhilfeträgern zwar nicht vor, doch er brachte zum Ausdruck, dass solche Fachkräfte in besonderer Weise für die Erfüllung der Aufgaben in der Sozialhilfe geeignet seien und daher am ehesten von den Sozialämtern beschäftigt werden sollten. Die gesetzliche Bestimmung ließ den Sozialhilfeträgern Raum, um selbst über den Einsatz der Fachkräftegruppen zu entscheiden. Dabei erwartete der Gesetzgeber, dass die Fachkräfte für die ihnen übertragenen Aufgaben persönlich und fachlich geeignet sind. Zur Sicherstellung dieses Anspruchs verpflichtete der Gesetzgeber die Sozialhilfeträger dazu, ihre Fachkräfte angemessen fachlich fortzubilden, wozu auch die Entwicklung ihrer Beratungskompetenz zählte. Allerdings legen vereinzelte empirische Untersuchungen nahe, dass dieser Anspruch nur unzureichend eingelöst worden ist.

2.1.2 Das Fallmanagement des SGB II

Am 1.1.2005 ist das SGB II in Kraft getreten. Es regelt die Unterstützung des Sozialstaates für erwerbsfähige Bedürftige und ihrer Angehörigen. Dabei begreift sich der Sozialstaat nicht mehr in erster Linie als Letztverantwortlicher für die Überwindung existenzieller Notlagen seiner Bürger, sondern als aktivierender Sozialstaat, der Bedürftige zur Bearbeitung und Überwindung ihrer prekären Lebenssituation anhält und ihnen dafür Unterstützung anbietet. Dieses Förderangebot des Staates ist eng an das Verhalten und Handeln der Bedürftigen gekoppelt. Ausgehend vom Primat der Eigenverantwortlichkeit erwerbsfähiger Bedürftiger für die Sicherstellung ihres Lebensunterhaltes, zielt das Gesetz auf die Wahrnehmung und Entwicklung dieser Verantwortung. Darin drückt sich als zentraler Auftrag an die Träger der Grundsicherung ein pädagogischer Auftrag aus. Auf der Grundlage von Erwerbsarbeit soll der Entstehung von Bedürftigkeit vorgebeugt und bereits eingetretene Bedürftigkeit überwunden, verkürzt oder vermindert werden.

Im Unterschied zu Geldund Sachleistungen sind Dienstleistungen, vor allem unmittelbar arbeitsmarktbezogene Dienstleistungen, von hervorgehobener Bedeutung. Die „Information, Beratung und umfassende Unterstützung“ der erwerbsfähigen Bedürftigen, mit dem Ziel ihrer Eingliederung in eine durch den Markt vermittelte, entgeltliche Erwerbsarbeit auf dem ersten Arbeitsmarkt, soll durch einen von der Agentur für Arbeit benannten „persönlichen Ansprechpartner“ durchgeführt werden, der in der Gesetzesbegründung als „Fallmanager“ bezeichnet wird. Nach den Vorstellungen des Gesetzgebers soll sich die Durchführung der Unterstützung konzeptionell an das ‚Case Management' anlehnen. Dabei hat der Gesetzgeber, nicht zuletzt vor dem Hintergrund der noch andauernden fachwissenschaftlichen Diskussion zur Rolle und Funktion des persönlichen Ansprechpartners, sowie auf Grund des „relativ offene[n], problemfeldbezogen variable[n] und anzupassende[n] Rahmenkonzept[es] [Case Management; Hinweis: Einfügung B.H.]“, auf eine verbindliche Festlegung der Ablauforganisation des „Fallmanagements“ bei den Trägern der Grundsicherung verzichtet.

Zentrales Planungs-, Steuerungsund Evaluationsinstrument des Eingliederungsprozesses“ [Hinweis B.H.: Hervorhebung im Original] der Bedürftigen in Erwerbsarbeit ist die „Eingliederungsvereinbarung“. Diese besondere Form der Hilfeplanung ist nach herrschender juristischer Meinung ein „öffentlich-rechtlicher Vertrag“ [Hinweis B.H.: Hervorhebung im Original], der im Einvernehmen mit dem kommunalen Träger zwischen der Agentur für Arbeit und dem erwerbsfähigen Bedürftigen geschlossen werden muss. Zu den gesetzlichen Mindestanforderungen der Vereinba-rung zählen die von der Agentur für Arbeit zugesagten Eingliederungsleistungen, die verabredeten Eigenbemühungen und Nachweise des Bedürftigen, sowie bei Aufnahme einer Bildungsmaßnahme auch die ihm auferlegten Haftungsbedingungen. Die Eingliederungsvereinbarung ist zunächst für sechs Monate zu schließen und kann unter Berücksichtigung der zwischenzeitlich gesammelten Erfahrungen verlängert werden. Kommt eine Vereinbarung mit Bedürftigen nicht zustande, ist die Agentur für Arbeit gehalten, einseitig die für Eingliederungsvereinbarungen gesetzlich vorgeschriebenen Mindestanforderungen „durch Verwaltungsakt“ festzulegen.

Auf der Grundlage der Eingliederungsvereinbarung wird die Zusammenarbeit des Bedürftigen mit seinem persönlichen Ansprechpartner durch Rechte und Pflichten bestimmt. Vom Zustandekommen der Vereinbarung bis zum Abschluss des Eingliederungsprozesses wird von dem Bedürftigen gefordert, dass er „aktiv an allen Maßnahmen zu seiner Eingliederung in Arbeit mitwirkt“ und „angebotene zumutbare Arbeitsgelegenheit[en] [Hinweis: Einfügung B.H.]“ annimmt, wenn für ihn „in absehbarer Zeit“ keine Einmündung in den ersten Arbeitsmarkt möglich ist. Unter aktiver Mitwirkung des Bedürftigen wird neben seiner „physischen Präsenz“ bei Maßnahmen, seine durch „Fleiß, Motivation und innere Überzeugung“ geprägte Anteilnahme und „alle für den Maßnahmeerfolg erforderlichen Handlungen“ verstanden. Diese Mitwirkungspflichten des Bedürftigen können bei Zuwiderhandlungen durch den persönlichen Ansprechpartner sanktioniert werden. Insbesondere droht eine Sanktion bei Pflichtverletzungen bzgl. des Einsatzes der eigenen Arbeitskraft. Verhängte Sanktionen, die nach Berlit letztlich auf eine Veränderung und nicht auf eine Bestrafung des Verhaltens und Handelns des Bedürftigen zielen, reichen von einer stufenweisen Kürzung der Regelleistungen bis zur Streichung der gesamten Grundsicherung. Ins-gesamt lassen die gesetzlichen Grundlagen erkennen, dass über den gesamten Eingliederungsprozess hinweg das Verhalten des Bedürftigen unter einer latenten Androhung von Sanktionen durch seinen persönlichen Ansprechpartner steht. In Novellierungen des SGB II haben sich dessen Sanktionsmöglichkeiten sogar noch erweitert.

Der Gesetzgeber sichert dem Bedürftigen zu, „alle im Einzelfall für die Eingliederung in Arbeit erforderlichen Leistungen“ zu erbringen. Im Unterschied zum BSHG, in dem diese Zusicherung noch als Soll-Vorschrift zu verstehen war, ist sie im Rahmen des SGB II zur Kann-Vorschrift abgeschwächt worden. Solche Leistungen gelten insoweit als „erforderlich“ als sie die Annahme einer Tätigkeit auf dem ersten Arbeitsmarkt befördern oder ermöglichen. Diese Unterstützung ist „[‚umfassend'; Hinweis B.H.: Hervorhebung im Original] angelegt“ und am individuellen Bedarf des Bedürftigen ausgerichtet. Daraus leiten sich jedoch „keine durchsetzbaren Ansprüche der Hilfebedürftigen auf Förderung“ [Hinweis B.H.: Hervorhebung im Original] ab. Entlang dieser Grundsätze hat der Beauftragte des Trägers der Grundsicherung, der persönliche Ansprechpartner, passgenaue Leistungen für den Bedürftigen zu erbringen. In den §§ 16 und 29 SGB II werden diese Leistungen konkretisiert und spezifiziert. Sie stellen im wesentlichen eine Mischung aus Maßnahmen der aktiven Arbeitsförderung des SGB III und des ehemaligen BSHG dar. Diese Leistungen, deren Erbringung, mit Ausnahme der Beratungsund Vermittlungsleistungen, nach Art und Umfang im Ermessen des persönlichen Ansprechpartners liegen, umfassen unmittelbar und mittelbar arbeitsmarktbezogene Leistungen, sozialintegrative Leistungen und Verrichtungen außerhalb von Beschäftigungsverhältnissen. Die arbeitsmarktbezogenen und sozialintegrativen Maßnahmen zielen vor allem auf die Verbesserung der Erwerbsfähigkeit des Bedürftigen. Darauf bezogen sollen seine Kompetenzen und Ressourcen entwickelt werden. Darüber hinaus ist der persönliche Ansprechpartner

gehalten, Eingliederungsleistungen nach der größtmöglichen Wirkung für eine dauerhafte Einmündung in den ersten Arbeitsmarkt zu erbringen.

Während die Unterstützungsleistungen im Rahmen des BSHG auf die Sicherstellung einer menschenwürdigen Lebensführung der Bedürftigen zielte, mithin die Letztverantwortung des Sozialstaates für die Existenzsicherung seiner Bürger in den Mittelpunkt stellte und auf einem umfassenden, lebenslagenbezogenen Hilfeansatz fußte, schließt der Sozialstaat im Rahmen des SGB II mit seinen bedürftigen Bürgern einen Vertrag ab, in dem er ihre Gegenleistungen für seine erwerbszentrierten Eingliederungsleistungen festlegt. Eine eingehende Betrachtung der zwischen den Bedürftigen und ihrem persönlichen Ansprechpartner zu schließenden Eingliederungsvereinbarung zeigt eine dem Eingliederungsprozess zu Grunde liegende asymmetrische Struktur der Vertragsbeziehung auf: Rechtskommentatoren des SGB II sind der Auffassung, dass der Gesetzgeber den Grundsatz des ‚Forderns' über den des ‚Förderns' stellt. So verpflichtet dieser die Bedürftigen zum Abschluss einer Eingliederungsvereinbarung und damit zur Teilnahme am Eingliederungsprozess und sanktioniert ihre Weigerung. Dies stellt, so Berlit, eine „nicht gerechtfertigte, unverhältnismäßige Beschränkung der Vertragsabschlussfreiheit“ [Hinweis B.H.: Hervorhebung im Original] dar. Zudem ist auch die Aufnahme einer Schadensersatzpflicht in die Vereinbarung obligatorisch geworden. Auch ist, wie oben herausgearbeitet, zu erkennen, dass der gesamte Eingliederungsprozess auf einer umfassend angelegten aktiven Mitwirkungspflicht der Bedürftigen fußt und diese eng an Sanktionen gekoppelt ist. Im Unterschied zu § 25 BSHG ist im SGB II dieser Zusammenhang auf der Grundlage der Eingliederungsvereinbarung nun durchgängig hergestellt. Die verfahrensmäßige Koppelung von Dienstleistungen und Geldleistungen führt dazu, dass eine Verletzung aktiver Mitwirkungspflichten in ungleich höherem Maße als dies im Rahmen des BSHG möglich gewesen ist auf die materielle Grundsicherung der Bedürftigen durchschlagen kann. Darüber hinaus ist zu erkennen, dass die Zusammenarbeit zwischen den Be-dürftigen und ihrem persönlichen Ansprechpartner auf einer am ‚workfare' orientierten Rechtsbeziehung beruht. Nach Krahmer und Spindler zeigen sich dabei jedoch Ambivalenzen, da im SGB II „noch Strukturen des BSHG zu erkennen“ sind.

Insgesamt verweisen die Belege zur Gestaltung der rechtlichen Grundlagen des Eingliederungsprozesses durch den Gesetzgeber auf eine starke rechtliche Stellung des persönlichen Ansprechpartners, so dass von einer auf gleicher Augenhöhe angesiedelten Zusammenarbeit zwischen ihm und den Bedürftigen nicht gesprochen werden kann. Im Rahmen dieses strukturellen Ungleichgewichtes soll der persönliche Ansprechpartner die Unterstützung der Bedürftigen auf der Grundlage der Methode ‚Case Management' durchführen. Es ist deshalb von verschiedener Seite in Zweifel gezogen worden, ob es für Bedürftige überhaupt möglich ist, die von ihnen erwartete Eigenverantwortung und Selbstbestimmung zu übernehmen.

Nach § 65 Abs. 2 SGB II ist die Agentur für Arbeit verpflichtet, Mitarbeiter für die Wahrnehmung der Aufgaben nach dem SGB II zu qualifizieren. Auf erforderliche Ausbildungsvoraussetzungen und Qualifikationsanforderungen, insbesondere für die persönlichen Ansprechpartner, wird jedoch explizit weder in der Gesetzesbegründung noch im Gesetz selbst Bezug genommen. Auch sind „keine subjektiv-rechtlichen Ansprüche auf Qualifizierungsmaßnahmen [Hinweis B.H.: Hervorhebung im Original] bestimmter Art und Güte oder in einem hinreichenden Umfang“ aus der gesetzlichen Qualifizierungspflicht ableitbar. Allerdings, so Berlit, setzt eine kompetente Wahrnehmung der zentralen Rolle des persönlichen Ansprechpartners und die Anwendung des Case Management-Verfahrens im Eingliederungsprozess „erforderliche Rechtsund Verfahrenskenntnisse, Methoden und Verfahrenskompetenzen [...] Wissen um psychosoziale Problemlagen für den Beratungsprozess [...] [und; Hinweis: Einfügung B.H.] in erheblichem Umfang [...] kommunikative und soziale Kompetenzen“ voraus. Dieses Kompetenzprofil verweist zwar auf bestimmte Grundberufe, wie den des Sozialarbeiters und Sozialpädagogen oder des an Fach(hoch)schulen der Bun-desagentur für Arbeit ausgebildeten Arbeitsvermittlers, doch ist eine Vorrangstellung solcher Berufe aus den gesetzlichen Vorgaben des SGB II nicht ableitbar.

Im Rahmen des SGB II wird die wirtschaftliche und sparsame Durchführung des Fallmanagements betont. Damit beabsichtigt der Gesetzgeber offenbar, dass bei Dienstleistungen die Effizienz des Mitteleinsatzes in besonderem Maße zu berücksichtigen ist. Nach Berlit ist „das Wirtschaftlichkeitsund Sparsamkeitserfordernis [Hinweis B.H.: Hervorhebung im Original] kein einzelfallbezogenes Kostenminimierungsgebot [...], sondern bezogen auf die Leistungserbringung und damit auf das Wie der Durchführung [...] eine im Einzelfall für die Integration hinreichend geeignete und mangels gleichgeeigneter Alternativen erforderliche Leistung daher auch bei nur geringer Erfolgsaussicht nicht wegen der damit verbundenen Aufwendungen ausgeschlossen“.

 
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